Lotte

Volle Lotte herausgefordert

 

Mit welchen Herausforderungen Schwangere zu kämpfen haben, ist mir in den vergangenen Monaten sehr bewusst geworden. Die Zeit vor Lottes Geburt war unter anderem geprägt von Übelkeit und Erbrechen, lästigem Sodbrennen, fiesen Wadenkrämpfen, Angst vor Ohnmachtsattacken aufgrund von Kreislaufbeschwerden, routinemäßigen Untersuchungen durch die Ärztin, zunehmender Leibesfülle einhergehend mit nahezu lethargischer Unbeweglichkeit; dazu bestand die Notwendigkeit, die Mutterschutzvorschriften am Arbeitsplatz eigenverantwortlich durchzusetzen, und nicht zuletzt bescherte mir die Entbindung wohl die anstrengendste und schmerzhafteste Nacht meines Lebens. Aber damit nicht genug! Als Schwangere ist frau nämlich auch gezwungen, sich mit elementaren Fragen auseinanderzusetzen: Im Vordergrund steht dabei sicherlich, ob es dem Baby gut geht, ob die Partnerschaft stabil genug für ein gemeinsames Kind ist und ob die Finanzen ausreichen, um ein Kind großzuziehen. Außenstehenden mögen dagegen Überlegungen, welche Anschaffungen gemacht werden müssen, wie eine optimale Vorbereitung aussehen sollte und welche Kurse belegt werden sollten (die Auswahl reicht von Geburtsvorbereitungskursen mit Yoga, über Geburtvorbereitungskurse ohne Yoga, über Kurse mit und ohne Partner, über Kurse mit und ohne Wassergymnastik bis hin zu Säuglingspflegekursen, Erste-Hilfe-Kursen und Stressbewältigungskursen für Paare) banal finden, als Schwangere jedoch bedarf es auch bzgl. dieser Fragen einer ernsthaften Auseinandersetzung! (Bleibt anzumerken, dass ich mich für die Geburtsvorbereitung mit Wassergymnastik und zeitweiliger Anwesenheit des Partners entschieden habe und außerdem den Stressbewältigungskurs und den Säuglingspflegekurs belegt habe!)

Als ob das nicht alles schon kompliziert genug wäre: Trotz Teilnahme an sämtlichen Kursen ist die Frage, wo das Kind denn nun zur Welt kommen soll, immer noch unbeantwortet. Der Schwangeren bieten sich auch diesbezüglich diverse Möglichkeiten, sich zu informieren. Sämtliche Bielefelder Kliniken mit Entbindungsstation und auch das Geburtshaus führen Infoveranstaltungen durch, in denen den schwangeren Frauen vermittelt wird, wie sie während der Entbindung in der jeweiligen Einrichtung unterstützt werden und welche Hilfsmittel dort während der Geburt zur Verfügung stehen. Wenn die Schwangere nun denkt, sie müsse also lediglich die Infoveranstaltungen besuchen und danach entscheiden, in welcher Einrichtung sie gebären möchte, dann sei ihr gesagt: Du bist nicht die Einzige, die schwanger ist! Die Konkurrenz schläft nicht, und die Plätze sind zumindest im Geburtshaus rar!

Beim Infoabend im Geburtshaus am 03. Februar 2011 bedeutete das für mich, dass ich enttäuscht auf der Warteliste landete und fest plante, mein Kind im Städtischen Klinikum zu bekommen, da ich sicher war, nicht mit einem Platz im Geburtshaus rechnen zu können. Dementsprechend besuchte ich den Geburtsvorbereitungskurs im Städtischen Klinikum, meldete mich dort zur Akupunktur an und organisierte mir für die Nachsorge eine der dort arbeitenden Hebammen.

Konsequenz all dessen war, dass ich als Schwangere Mitte April mit einer weiteren Herausforderung konfrontiert wurde: Das Telefon klingelte und Ute Böckstiegel vom Geburtshaus war am Apparat und teilte mir mit, dass ein Platz zur Entbindung im Geburtshaus frei geworden sei, da eine Frau einen vorzeitigen Blasensprung gehabt habe. Wenn ich also den Platz haben wollte, dann solle ich jetzt – und das heißt auf der Stelle – zusagen.

In meinem Kopf drehte sich alles. „Scheiße“, dachte ich, „wie regele ich das denn jetzt?“ Ich musste doch auf jeden Fall erst mal mit meiner Hebamme sprechen, schließlich plante die mit mir und war als zeitweilige Freiberuflerin auf Aufträge angewiesen. Ich schilderte daraufhin Frau Böckstiegel mein Dilemma, wodurch sie sich erweichen ließ und mir anbot, ich könne ihr am Abend eine Nachricht auf dem AB hinterlassen und ihr mitteilen, ob ich den freigewordenen Platz im Geburtshaus nun annehme oder nicht. Gesagt, getan: am Abend war alles geklärt, und ein paar Tage später am 21. April konnte ich mich mit Meike zum Erstgespräch treffen, worüber ich nach all dem Hin und Her total froh und erleichtert war! Abermals herausfordernd war die Tatsache, dass die verbleibende Zeit bis zum errechneten Entbindungstermin am 28.05.2011 nicht mehr lang war. Also vereinbarten Meike und ich direkt weitere Termine, an denen ich Lisa, Jule, Sabrina und Anne kennen lernen sollte. Außerdem verabredeten wir beide uns zur Akupunktur.

 

Dass all die beschriebenen Schwierigkeiten und Herausforderungen im Grunde nur Vorgeplänkel sein sollten, verglichen mit dem, was noch kommen sollte, ahnte ich zu dem Zeitpunkt nur ansatzweise, obwohl mir natürlich auch da schon klar war, dass eine Geburt nun mal kein Spaziergang ist! Was dem Vorgeplänkel folgte, ereignete sich so:

 

Am 25.05.2011 erwachte ich gegen 6.30 Uhr durch ziehende Schmerzen im Lendenwirbelbereich, die nicht dauerhaft waren und mich an Menstruationsbeschwerden erinnerten, die ich gelegentlich gehabt hatte. Ich dachte mir nichts weiter dabei, drehte mich auf die andere Seite und schlief weiter. Als ich gut zwei Stunden später erneut aufwachte, waren die Schmerzen immer noch spürbar, sie kamen und gingen etwa in einem 20-Minuten-Takt. Der Gedanke, dass es sich bei den Schmerzen um Wehen handeln könnte, kam mir irreal vor, aber gegen 11.00 Uhr entschloss ich mich dazu, auf dem Notfallhandy anzurufen und die Hebamme um eine Einschätzung der Situation zu bitten. Meike war am Apparat, und ich schilderte ihr meine Beschwerden, woraufhin sie sagte, dass es schon so klinge, als hätte ich Wehen. Sie sagte aber auch, dass das nicht heißen müsse, dass die Geburt unmittelbar bevorstehe. Es könne genauso gut sein, dass die Wehen zunächst wieder verschwänden. Sie bat mich aber darum, den Tag über mit ihr über das Handy Kontakt zu halten und mich auf jeden Fall zu melden, sobald die Abstände, in denen die Schmerzen auftraten, sich verkürzen sollten.

Da die schmerzfreien Zeiträume kürzer wurden, verständigte ich gegen 13.30 Uhr Sebastian, der noch beruflich unterwegs in Essen war und sich nach unserem Telefonat mit wehenden Fahnen auf die Rückfahrt nach Bielefeld machte. Sobald Sebastian zu Hause angekommen war, setzten wir uns noch mal mit Meike in Verbindung, die uns bat, gegen 16.00 Uhr ins Geburtshaus zu kommen. Gesagt, getan: Meike untersuchte mich und teilte uns mit, dass die Geburt wohl tatsächlich bevorstehe, da der Muttermund sich um einen Zentimeter geöffnet habe. Sie meinte aber, dass wir entspannt wieder nach Hause fahren könnten, da wir bis zur eigentlichen Entbindung auf jeden Fall noch Zeit hätten. Wir sollten uns wieder melden, sobald die Wehen in Abständen von etwa fünf Minuten aufträten.

Etwa gegen 18.30 Uhr kamen die Wehen ungefähr alle fünf bis sechs Minuten. Anne hatte zwischenzeitlich das Handy von Meike und damit den Dienst der ersten Hebamme übernommen, und eine Stunde später trafen uns mit ihr im Geburtshaus. Auf dem Weg dorthin sprachen Sebastian und ich noch scherzhaft darüber, dass der 25.05. eigentlich das schönere Datum als der 26.05. sei, um zur Welt zu kommen. Für uns war ziemlich klar, dass wir den Rest des Abends im Geburtshaus verbringen würden. Während Anne mich ein weiteres Mal untersuchte, brachte sie uns – und vor allem mich – aber schnell auf den Boden der Tatsachen zurück: Der Muttermund sei zwar inzwischen um ca. vier Zentimeter geöffnet, aber wir könnten sicher sein, dass es heute mit der Geburt nichts mehr werde. Sie bat uns, wieder nach Hause zu fahren, dort in Ruhe zu Abend zu essen, zu versuchen zu entspannen und uns zu melden, wenn die Wehen „richtig schön knackig“ seien. Mir wurde doch allmählich mulmig, denn meiner Einschätzung nach waren die Wehen doch inzwischen schon recht heftig und immerhin traten sie auch schon etwa alle fünf Minuten auf. Anne meinte aber, dass sich „knackige Wehen“ dadurch auszeichnen, dass sie in Abständen von zwei bis drei Minuten aufträten und ca. 90 Sekunden anhielten. Ein wenig enttäuscht, aber immer noch in der Lage einigermaßen beschwerdefrei zu laufen und im Auto zu sitzen, machte ich mich mit Sebastian wieder auf den Heimweg. Zu Hause angekommen setzten wir uns erstmal vor den Fernseher: Es lief gerade das zweite Relegationsspiel zwischen Bochum und Gladbach. Ich bekam aber ehrlich gesagt nicht viel davon mit, da meine Aufmerksamkeit weitgehend auf meine Schmerzen gerichtet war. Was hatte Anne gesagt? In Ruhe zu Abend essen? Ich hatte überhaupt keinen Hunger. Sebastian bot sich an, mir einen Bananen-Shake zu machen, der habe immerhin viele Kalorien. Ich willigte ein und mir schmeckte der Shake auch ganz gut, aber im Laufe des Abends erbrach ich das liebevoll zubereitete Getränk schwallartig in unseren Putzeimer!

Zwischenzeitlich waren die Wehen so heftig geworden, dass ich meine Position und Körperhaltung immer wieder verändern musste. Ich konnte nur noch unter heftigsten Schmerzen auf dem Sofa sitzen und liegen ging schon mal gar nicht. Am angenehmsten war es für mich, umherzulaufen oder auf der Toilette zu sitzen. Ich zitterte inzwischen vor Anstrengung am ganzen Körper und fragte mich, wie ich es unter diesen Umständen schaffen sollte, das Kind zur Welt zu bringen. Ich hatte ernsthafte Zweifel, dass meine Kraft dafür reichen würde. Wie war das noch mal mit den „knackigen Wehen“? Sie kommen alle zwei bis drei Minuten und bleiben 90 Sekunden? Sebastian stoppte inzwischen die Zeit – vermutlich um das Gefühl zu haben, wenigstens etwas beizutragen. Ich hatte in der Situation nämlich nicht den Eindruck, dass er mir weiterhelfen könne und zeigte es ihm auch. Von Wehen, die etwa 90 Sekunden dauern, waren wir auf jeden Fall noch weit entfernt, was dazu führte, dass ich hin- und her gerissen war: Einerseits wollte ich Lotte so schnell wie möglich zur Welt bringen, andererseits fühlte ich mich nicht dazu in der Lage, eine Wehe durchzustehen, die eineinhalb Minuten dauert! Ich begann außerdem, mir Sorgen um unsere Nachbarschaft zu machen, denn ich war mir sicher, dass mein Stöhnen und Geschrei im ganzen Haus zu hören sein musste.

Gegen 0.30 Uhr waren die Schmerzen so stark, dass ich wirklich das Gefühl hatte, es nicht mehr auszuhalten, und Ruhe in meine Atmung zu bringen, war mir nicht mehr möglich. Sebastian rief deshalb Anne an und fragte, ob es einen Trick gäbe, der mir die Situation erleichtern könne. Natürlich gab es keinen. Wenn es einen gäbe, hätte Anne das bestimmt schon eher gesagt. Ich war der Verzweiflung nahe, denn meine Kräfte schwanden weiter und Anne hatte noch immer nicht gesagt, dass es nun Zeit sei, sich auf den Weg ins Geburtshaus zu machen. Was würde mich an Schmerzen also noch erwarten, was stand mir noch bevor?

 

Gegen 2.00 Uhr hatte ich dann die von Anne erwünschten „knackigen Wehen“, die solche Schmerzen mit sich brachten, dass es mir nicht mehr möglich war, klar zu denken. Ich japste nach Luft und fühlte mich inzwischen der Situation derartig ausgeliefert, dass mir alles egal war: Sollten Anne, das Kind und die Wehen doch mit mir machen, was sie wollten! Ich war nicht mehr in der Lage, rationale Entscheidungen zu treffen, geschweige denn danach zu handeln!

Sebastian rief Anne an und teilte ihr den Stand der Dinge mit, woraufhin sie wenig später bei uns zu Hause erschien. Als Anne kam, saß ich mal wieder bzw. immer noch auf der Toilette. Als sie mich und damit vermutlich das Ausmaß des Elends sah, sagte sie „Oh, das ist aber heftig!“, woraufhin ich trotz meines desolaten Zustands eine gewisse Erleichterung empfand: „Okay, jetzt hat sie endlich begriffen, was abgeht“ und „Es muss sich etwas vorwärts bewegt haben“ waren die Gedanken, die mir durch den Kopf gingen. (Im Nachhinein ist mir natürlich klar, dass Anne sich meiner Situation auch vorher schon bewusst war!)

Auf Annes Aufforderung hin schleppte ich mich von der Toilette zum Bett, wo sie mich erneut untersuchte und folgenden Schluss zog: „Toll, super gearbeitet! Klasse, der Muttermund ist sieben bis acht Zentimeter weit geöffnet! Die Herztöne des Kindes sind auch okay. Jetzt können wir rüber ins Geburtshaus fahren!“

In mir keimte Hoffnung auf: Konnte es sein, dass Lotte trotz meiner derzeitigen Situation auf natürlichem Weg im Geburtshaus zur Welt kommen würde? Anne ging ja offensichtlich davon aus, dass meine und Lottes Kräfte für die Entbindung ausreichen würden. Ich empfand zwar erneut etwas Erleichterung, doch gleichzeitig stand ich vor einem neuen Problem: Wie sollte ich denn bloß die Fahrt zum Geburtshaus überstehen?

Ich quälte mich vom Bett hoch zum Auto und nahm unter lautem Stöhnen auf dem Beifahrersitz Platz. Während der Fahrt klammerte ich die Hände ans Armaturenbrett und wunderte mich darüber, dass wochentags um diese Uhrzeit noch so viele Menschen am Kesselbrink und am Jahnplatz unterwegs waren. Die Autofahrt verlief entgegen meiner Erwartungen aber ansonsten problemlos.

 

Kurz nach unserer Ankunft im Geburtshaus stieß Sabrina zu uns, die von Anne zuvor verständigt worden war. Da ich meine Atmung kaum noch kontrollieren konnte und allmählich das Gefühl hatte, dass neben der Fruchtblase auch meine Lunge platzen könnte, überboten Anne und Sabrina sich darin, mir die schönsten O-Töne zur Atemerleichterung vorzugeben, in die ich soweit es mir möglich war einstimmte. Um mir ein wenig Entspannung zu ermöglichen, boten Anne und Sabrina mir an, ein Bad zu nehmen, was ich dankbar annahm. Das Bad empfand ich gegen die Schmerzen im Unterleib als sehr wohltuend, aber leider war die Wanne so groß, dass ich ständig nach vorne wegrutschte. Dadurch verstärkten sich die Schmerzen im Rücken derartig, dass ich befürchtete, er könne durchbrechen. Sabrina und Sebastian mühten sich derweil damit ab, mein Wegrutschen in der Wanne zu verhindern und mich festzuhalten.

Anne war inzwischen dazu übergegangen, die Fruchtblase zu öffnen. Möglich war ihr das allerdings nur unter Durchführung einer akrobatischen Einlage, da sie mich aufgrund ihrer geringen Körpergröße in dieser Riesenwanne sonst gar nicht erreicht hätte. Anne klammerte sich also mit einer Hand am Wannerand fest, schob ihren Oberkörper über das Wasser hinweg weit in meine Richtung und öffnete mit der anderen Hand die Fruchtblase. Das Fruchtwasser, das daraufhin ablief, war grün, was dazu führte, dass sich auch das Wannenwasser grün färbte. Lotte hatte also Stress gehabt, aber ihre Herztöne waren beim erneuten Überprüfen abermals im Normbereich.

Da sich während der Wannenaktion der Muttermund weiter geöffnet hatte, begann danach die Pressphase, die ich als total anstrengend erlebt habe. Meinen Hebammen, zu denen sich inzwischen auch Lisa gesellt hatte, war – anders als mir – wohl schnell klar, dass mir nochmal ein Stück ziemlich harter Arbeit bevorstand: Für Anne, Sabrina und Lisa schnell offensichtlich – für mich glücklicherweise nicht – bereitete mir das Pressen, anders als offenbar den meisten anderen Frauen, Schwierigkeiten. Meine ersten Pressversuche wirkten sich nicht automatisch auf die dafür vorgesehene Körperregion aus, sondern die dabei freigesetzten Kräfte landeten zunächst in Lunge oder Bauch. Ich musste also erst noch lernen, so zu pressen, dass das Kind auch wirklich dadurch Richtung Ausgang geschoben wurde. Anne, Sabrina und Lisa brachten mich dafür in die unterschiedlichsten Positionen: ich hing abwechselnd am Geburtsseil bzw. an Sebastian, lief hin und her, lag auf dem Bett, saß auf der Toilette oder in der Hocke. Anne feuerte mich währenddessen unermüdlich an: „Los, weiter, weiter! Schieb! Volle Lotte jetzt! Schieb über die Schmerzgrenze hinaus, die Motte will raus!“ Wenn mir nicht so elend zumute gewesen wäre, hätte ich wohl entweder lachen müssen oder mich über Sebastian ärgern müssen. Wie war es sonst zu erklären, dass Anne nicht nur den Namen des Kindes in ihre Anfeuerungsrufe einbaute, sondern mit „Motte“ auch noch dessen Spitznamen verwendete? Hatte Anne neben ihrer Tätigkeit als Hebamme noch einen Nebenjob als Seherin? Sollte Anne keine hellseherischen Fähigkeiten besitzen, dann blieb nur noch die Möglichkeit, dass Sebastian den Namen ausgeplaudert hatte!

Ich war unter den gegeben Umständen jedenfalls nicht in der Lage, diese Gedanken weiter zu verfolgen, und so gab ich mir alle Mühe, Annes Anweisungen zu folgen und mich auf dem Pressvorgang zu konzentrieren. Zwischendurch ließen Anne, Sabrina und Lisa mich mit Sebastian noch einmal einige Minuten allein, damit wir uns zusammen auf die letzte Geburtsphase konzentrieren und Lotte sagen konnten, dass sie willkommen ist und jetzt kommen darf.

Nach anschließenden weiteren Pressversuchen und einer gefühlten Ewigkeit forderte mich Anne auf, zwischen meinen Beinen nach Lottes Haaren zu tasten. Mir wurde außerdem ein Spiegel gereicht, mit dem ich sehen konnte, dass die Kleine quasi direkt vorm Ausgang saß. Ich riss mich also noch einmal zusammen und presste weiter, was endlich dazu führte, dass Lottes Kopf geboren wurde. Als freundliches, zugewandtes Kind hatte sie ihre kleine Hand gleich mit hinausgebracht, mit der sie ihren Vater und die Hebammen winkend begrüßte. Leider wurde der Ausgang dadurch noch weiter verengt, was einerseits den Pressvorgang für mich zusätzlich erschwerte und andererseits dazu beitrug, dass mein Damm riss. Danach ging aber alles total schnell, Lottes Körper flutschte nur so in diese Welt, und sie schrie direkt los.

 

Total erschöpft, aber froh, dass alles gut überstanden war, konnte ich Lotte in den Arm nehmen. Sebastian und ich waren erstaunt, wie munter und „frisch“ Lotte aussah, gar nicht zerknautscht und blutig, sondern gut genährt und rosig. Lediglich am Hinterkopf hatte sie aufgrund der Geburt eine ausladende Beule, die aber nach ganz kurzer Zeit wieder verschwinden sollte. Auch Anne, Sabrina und Lisa waren nach Wiegen und Messen verblüfft darüber, dass die kleine Maus immerhin 3880 Gramm auf die Waage brachte. Lotte toppte damit alle Wetten, die diesbezüglich im Vorfeld von den Hebammen angesichts meines Bauchumfangs abgegeben worden waren. Sie bestand den Apgar-Test ebenso mit Bravour wie Anne meinen Damm nähte und Sebastian zuvor die Nabelschnur durchtrennt hatte. Sabrina verteilte nebenbei Schoki und Traubenzucker, die ich genauso gerne von ihr annahm wie den kühlen Waschlappen für meine Stirn während der Entbindung. Sebastian und ich nutzten die Gelegenheit, um im Himmelbett ein bisschen mit Lotte zu kuscheln. Danach half Sabrina Sebastian dabei, Lotte anzuziehen und Lisa unterstütze mich darin, die Kleine anzulegen und regelte zusätzlich den Papierkram. Außerdem bekam ich wegen eventueller Kreislaufbeschwerden Hilfe beim Duschen und wir alle anschließend ein leckeres und liebevoll zubereitetes Frühstück. Jule, Meike und ein Hund stießen auch noch kurz zum Frühstück dazu und gratulierten uns, und Lotte bekam ihr allererstes Geburtsgeschenk vom Geburtshaus-Team.

 

Erwähnenswert ist noch, dass Sebastian halbwegs glaubhaft bestreitet, den von uns für das Kind ausgesuchten Namen ausgeplaudert zu haben, was ein Hinweis darauf sein muss, dass Annes Fähigkeiten über die einer Hebamme hinausgehen. Ganz nebenbei hat Bochum den Aufstieg in die erste Fußballbundesliga verpatzt.

 

Nachdem nun die Schwangerschaft, Lottes Geburt und nun bald auch das Wochenbett hinter mir liegen, bin ich inzwischen wirklich froh darüber, die mit diesen Ereignissen verbundenen Herausforderungen und Schwierigkeiten angenommen und bewältigt zu haben. Lotte macht uns jeden Tag viel Freude, auch wenn wir neben dem Stillen und dem Windelwechseln phasenweise ihre Brüllattacken aushalten müssen und uns fragen, wo bloß unsere Zeit bleibt.

Sebastian und ich möchten abschließend die Gelegenheit nutzen uns bei euch – liebe Anne, Sabrina, Lisa, Meike und Jule, aber auch bei allen anderen Mitarbeiterinnen des Geburtshauses ganz herzlich zu bedanken. Wir sind davon überzeugt, dass bei euch zu entbinden das Beste war, was uns passieren konnte! Wir haben uns wirklich gut betreut und unterstützt gefühlt, was eine wichtige Grundlage für die Herausforderungen der nächsten Zeit ist. Es geht ja schließlich weiter und zwar nicht nur irgendwie, sondern: Volle Lotte!!!

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