Die Geschichte einer Fehlgeburt

Die Schwangerschaft unserer ersten Tochter war, abgesehen von kleinen Zipperlein, eine sehr gute Schwangerschaft. Somit hatten wir uns auch direkt nach dem positiven Schwangerschaftstest für die Begleitung während der zweiten Schwangerschaft und für die Geburt im Geburtshaus gemeldet. Leider sollte dieses Mal aber alles anders werden.

Nach dem ersten Ultraschall in der fünften Woche war ich zufrieden und beruhigt und habe die nächsten drei Wochen, bis zum nächsten Ultraschalltermin voller Freude verbracht und wir haben uns schon ausgemalt, wie es wird mit zwei kleinen Kindern ein gemeinsames Leben zu führen. Der „Projektname“ für diese Schwangerschaft und das kleine Wesen in meinem Bauch war Rudolpho. Freunde haben sich mit uns gefreut und schon bald war der Name Programm.

In der achten Woche stand dann der nächste Ultraschalltermin an. Mein Freund und ich hatten den Babysitter organisiert und sind voller Vorfreude auf den ersten Herzschlag zu meiner Frauenärztin gefahren. Leider gab es keinen Herzschlag zu sehen. Ich konnte kaum atmen als sie immer weiter guckte, ob nicht doch etwas zu sehen ist. Mir liefen die Tränen aus den Augen und es waren so viele Gedanken in meinem Kopf, dass ich mich nicht sortieren konnte. Sie überwies uns dann an das Krankenhaus. Sie sagte, dass dort bessere Geräte wären, aber im Inneren wusste ich, dass diese Schwangerschaft zu Ende ist. Im Krankenhaus mussten wir fast drei Stunden warten. Ich fing immer wieder an zu weinen, hatte aber auch immer wieder einen kleinen Funken Hoffnung, dass es doch noch nicht vorbei ist.

Auch bei dieser Untersuchung konnte kein Herzschlag festgestellt werden. Leider war auch die Ärztin erst in ihrem ersten Jahr und man merkte ihr die Aufregung an. Für mich kaum aushaltbar. Sie setze immer wieder an uns zu erklären, welche Möglichkeiten wir jetzt haben (abwarten, Medikamente zu Einleitung der „Geburt“ und eine Ausschabung), mittendrin unterbrach sie sich aber immer wieder, sagte mir kurz das kein Herzschlag zu sehen sei und setzte wieder an, welche Möglichkeiten, inklusive Risiken es bei Variante eins und zwei geben könnte. Über die Risiken einer Ausschabung wurde ich nicht ein Mal informiert. Am Ende wiederholte sie noch einmal die nun vorhandenen Möglichkeiten und sagte mir, ich müsse mich nun entscheiden was ich möchte. In meinem Kopf drehte sich alles und es war unmöglich eine Entscheidung zu treffen. Auch wollte ich alles in Ruhe mit meinem Freund besprechen, aber ich fühlte mich auch unter Druck etwas sagen zu müssen. Noch ohne Hose stand ich im Untersuchungsraum, war am Weinen und versuchte einen Gedanken fassen zu können. Zum Glück sagte dann mein Freund, dass wir jetzt erst einmal nach Hause gehen, da ja an sich alles gut sei und wir dann gemeinsam alles Weitere überlegen würden. Ich war ihm so dankbar, mir hätte die Kraft dafür gefehlt!

Die nächsten Tage haben wir getrauert aber auch gelacht. Wir haben sofort mit Freunden und unserer Familie über alles gesprochen und dadurch sehr viel Zuspruch erfahren. Für uns war es nie eine Option die Fehlgeburt nicht zu kommunizieren. Und es wurde schnell deutlich, wie vielen anderen Frauen es auch so geht. Das eine Fehlgeburt nichts ist, dass selten ist. Und wir waren überrascht, wie viele Menschen um uns herum diese Erfahrung bereits gemacht haben oder jemanden kennen, der eine Fehlgeburt hatte. Vorher haben wir das so nicht erfahren. Und genau dieser Zuspruch hat uns Halt und Kraft gegeben. Wir waren nicht alleine! Zudem hatten wir das Glück, dass uns Jule aus dem Geburtshaus telefonisch zur Seite stand. Ebenso haben wir mit einer Hebamme aus Spanien gesprochen (mein Freund ist Spanier), die selber eine natürliche Fehlgeburt hatte. Somit waren wir gut vorbereitet und begleitet für die kommenden Tage, da ich ebenfalls abwarten wollte, bis die Natur die Schwangerschaft beendet und „Rudolpho“ auf natürlichem Weg zu uns kommen mag. Und auch wenn es eine andere Art der Geburt ist hatte ich das Gefühl, das bin ich ihm oder ihr schuldig. Auch wenn das

kleine Herz wohl nie angefangen ist zu schlagen. Die Vorstellung einer Ausschabung war für mich so schmerzhaft, dass ich mir das nicht vorstellen konnte.

Ich fühlte mich in den nächsten Tagen sehr merkwürdig. Das Wissen, etwas Totes in mir zu tragen war schon sehr komisch. Auf der anderen Seite wollte ich es manchmal auch nicht wahrhaben und hatte immer wieder den Gedanken, dass evtl. doch noch alles gut wird. Ich wusste auf welche Anzeichen einer beginnenden Entzündung ich achten muss, wusste aber auch, dass ich Anzeichen einer beginnenden Geburt erwarten kann. Ich habe mich dann entschieden, die Zeit immer nah an Bielefeld dran zu bleiben, nicht weg zu fahren und zu gucken, was mein Körper mir sagt. Ich habe Akkupunktur bei einer Freundin gemacht und in der halben Stunde habe ich mich von „Rudolpho“ verabschiedet. Mein Freund hat sich gut um unsere Tochter gekümmert und wir haben immer wieder viel über die Fehlgeburt und wie es uns damit geht gesprochen. Mir hat es sehr gutgetan.

Ca nach einer Woche fühlte ich mich nicht gut. Meine Frauenärztin hatte keine Zeit, somit bin ich zu meiner Hausärztin. Da mein unterer Bauch druckempfindlich war sollte ich ins Krankenhaus gehen. Dort konnte der Arzt nicht verstehen was ich von ihm wollte, da ich ja nicht dortbleiben und auch keine Ausschabung haben wollte. Das ich erst einmal darum gebeten hatte, dass er schaut, ob es eine Entzündung oder andere Komplikationen gibt, wollte er erst nicht hören. Am Ende hat er die Untersuchungen gemacht. Der Ultraschall und auch die Blutergebnisse waren in Ordnung. Für mich wieder ein Termin im Krankenhaus bei dem ich mich dem Arzt ausgeliefert gefühlt hatte. Wäre ich nicht voller Sorge um eine evtl. Komplikation gewesen hätte ich mich nicht eine Sekunde von dem Arzt berühren lassen. Aber es ging nicht anders. Ich hatte dann noch mit Jule gesprochen, die mir Sicherheit gegeben hat, dass ich auch weiterhin abwarten kann.

Zum Glück hatten wir diesen Mut. Drei Tage später, an einem Sonntag, hatte ich mittags auf einmal ein ziehen im Unterleib. Es fühlte sich wie leichte Periodenschmerzen an. Ich habe mich dann ins Bett gelegt. Die Schmerzen blieben unverändert über mehrere Stunden. Ich habe immer wieder meine Temperatur kontrolliert. Gegen sechs Uhr abends hatte ich dann etwas über 38° Temperatur. Ich sagte meinem Freund, ich  würde nun noch ein wenig abwarten wollen, aber wenn die Temperatur weiter steigen würde, wollte ich doch ins Krankenhaus fahren. Fünf Minuten später musste ich auf Toilette und fand „Rudolpho“ dort auch wieder. Ich habe ihn bzw. aufgesammelt und in ein Glas gelegt. Die Idee war, einen Baum zu pflanzen und „Rudolpho“ darunter zu beerdigen. Danach sind wir erst einmal eine rauchen gegangen. Ich war glücklich das es nun geschafft war und wir eine natürlich kleine Fehlgeburt haben durften. Aber das sollte es noch nicht gewesen sein. Nachdem wir wieder in der Wohnung waren merkte ich, dass scheinbar noch mehr raus wollte. Klar, eine Plazenta gab es ja auch da schon. Ich stand breitbeinig unter der Dusche und bis zum nächsten Tagen habe ich immer wieder Blut und Gewebe verloren. Ich war sehr überrascht und irgendwann auch verunsichert. Ich hatte sogar noch einmal im Krankenhaus angerufen, weil ich so beunruhigt war, aber ich wollte, nach den vorherigen Erfahrungen nicht noch einmal dort hin. Auch hier hat Jule mir die Sicherheit gegeben, dass alles gut ist. Am Ende dauerte es dann nicht mehr lange und die Blutungen haben sich beruhigt. Am nächsten Tag hatte ich einen Termin bei meiner Frauenärztin. Ich muss zugeben, die Nachwehen waren stärker als nach der ersten Geburt, ich war absolut schlapp, weil ich viel Blut verloren hatte und sie sagte mir, dass leider noch Gewebe in meinem Körper ist, dass bald rauskommen müsste. Zwei Tage später war auch das zum Glück so weit. Ich war erleichtert, als auch wirklich der letzte Rest Gewebe meinen Körper verlassen hat. Nun konnte ich wirklich Abschied nehmen. Jule war in diesen Tagen noch da aber ich habe gemerkt, dadurch, dass wir gemeinsam, aber auch mit vielen anderen Menschen unsere

Erfahrung, Gefühle und Gedanken geteilt haben, war der Verarbeitungsprozess so schnell, dass es sich innerlich für mich sehr ruhig aber auch rund angefühlt hat. Wir waren nie alleine.  Wir haben alles selbstbestimmt machen dürfen. Es gab keine Komplikationen und wir waren nie alleine mit unseren Fragen und Gedanken, sondern immer gut beraten.

So schwer die Erfahrung einer Fehlgeburt auch ist hat uns diese Zeit doch auch gutgetan. Wir haben noch einmal mehr die Erfahrung gemacht, dass wir gemeinsam auch gute Wege in schweren Zeiten finden können, dass wir uns auf unseren Partner, aber auch auf unser Gefühl verlassen können und, was am heilsamsten war, dass wir viele Menschen um uns herumhaben, die da sind und uns ein offenes Ohr schenken und wirklich zuhören, wenn es notwendig ist. Ich würde es heute genauso wieder machen und jedem, der ein gutes Gespür für seinen eigenen Körper hat, auch diese Erfahrung wünschen. Eine Fehlgeburt ist kein versagen, nichts, wofür man sich schämen sollte, sondern etwas, dass vielen Frauen/Familien passiert. Es sollte kein Tabu in unserer Gesellschaft sein, sondern etwas, dass von vielen getragen wird, damit wir als Frauen es gut verarbeiten und somit bereit für eine weitere Schwangerschaft sind. Ich persönlich freue mich darauf, bald wieder neues Leben unter meinem Herzen tragen zu dürfen. Wie die Zeit wird, dass wird sich zeigen, aber Angst, Sorgen und Befürchtungen habe ich keine.

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