Luise Josephine

Wie nach der Geburt unserer ersten Tochter Lilith Carlotta am 25. März 2012 haben wir, Kathrin und Carsten, auch diesmal wieder unabhängig voneinander jeweils einen Geburtsbericht geschrieben. Beide sind recht lang geworden… Wir wünschen trotzdem viel Spaß beim Lesen!

Die Geburt aus Kathrins Sicht

Nachdem ich in die erste Geburt total entspannt hineingegangen war, hatte ich dieses Mal richtig Angst davor. In der Schwangerschaft mit meiner ersten Tochter Lilith vor gut zwei Jahren hatte ich so ziemlich alles gelesen, was auch nur irgendwie mit Geburt zu tun hatte – mehrere Bücher, hunderte von Geburtsberichten im Internet – außerdem hatte ich mit Carsten zusammen einen Geburtsvorbereitungskurs besucht, Schwangerschaftsgymnastik gemacht und fühlte mich richtig gut vorbereitet. Ich hatte gelesen, dass der Körper in den Wehen nur so große Schmerzen produziert, wie er aushält und dass große Schmerzen oft erst dadurch zustande kommen, dass man verkrampft. Ich war daher davon überzeugt, dass ich einfach ganz locker in die Geburt reingehe und dann alles schon nicht so schlimm werden wird. In Kurzform: Es wurde doch schlimm. Die Wehenschmerzen waren schlimmer als alles, was ich mir an Schmerzen jemals hätte vorstellen können. Obwohl alles gut ausging, war die Geburt für mich der reinste Horror und grenzte schon fast an ein traumatisches Erlebnis. Im Übrigen wusste ich jetzt auch, dass der Körper zwar vielleicht nur solche Schmerzen produziert, die man auch aushalten kann – damit ist aber offenbar nur gemeint, dass man sie gerade noch aushalten kann, bevor man ohnmächtig wird. Auch nach der Geburt brauchte ich lange, um mich wieder einigermaßen normal zu fühlen, und zwar nicht nur psychisch, sondern auch körperlich.

Dementsprechend graute es mir davor, das Ganze jetzt noch einmal erleben zu müssen. Dazu kam, dass ich in der jetzigen Schwangerschaft das Repertoire aller zur Verfügung stehenden Beschwerden ganz gut ausschöpfte. Von einigen der Beschwerden war ich einfach nur genervt, andere verursachten mir aber auch wirklich Angst um meine Gesundheit. In der Summe nahmen mir diese ganzen Beschwerden die Zuversicht, die ich sonst gehabt hatte. Ich machte mir ständig Sorgen und hatte wirklich richtige Angst vor der Geburt – und zwar Angst nicht nur in dem Sinne, dass ich reißen oder die Plazenta sich nicht lösen würde (davor hatte ich auch Angst, aber das war für mich zweitrangig und wäre verkraftbar gewesen), sondern ich hatte wirklich Angst, bei der Geburt zu sterben.
Diese Angst legte sich erst im Laufe des Mai – und zwar zum einen durch die bloße Warterei und zum anderen tatsächlich mal wieder durch das Lesen von Geburtsberichten. Nachdem ich auch jetzt wieder hunderte „normaler“ Berichte auf urbia.de gelesen hatte und dort mittlerweile alle Berichte der letzten Jahre kannte, kam ich durch irgendwelche Umwege auf Berichte von Alleingeburten. Ich fand das zwar alles reichlich gewagt und konnte es mir für mich persönlich nicht vorstellen, aber durch das, was die Berichte ausstrahlten, bekam ich mein Vertrauen darauf, dass eine normale Geburt ohne Eingriffe in den allermeisten Fällen auch komplikationslos abläuft, wieder. Außerdem sagte Carsten mir mehrfach, dass die Hebammen aus dem Geburtshaus so vorausschauend und vorsichtig sind, dass sie mich beim kleinsten Anzeichen einer Komplikation ins Krankenhaus verfrachten würden – was auch stimmt (wobei es einem da nicht unbedingt besser gehen muss).

Aber wie schon geschrieben, hatte auch das bloße Warten seinen Anteil daran, dass ich irgendwann über den Punkt der größten Angst hinwegkam. Und gewartet habe ich wirklich LANGE. Da nütze es auch nichts, dass ich eigentlich ganz gelassen abwarten wollte – denn spätestens nachdem meine Frauenärztin das Baby bereits am 10. April (also fünf Wochen vor dem Termin) auf 51 cm und 3.300 g geschätzt hatte, waren wir der Meinung, es könnte nun jeden Augenblick kommen. Dazu hatte ich schon Wochen vor dem Termin immer mal wieder Senkwehen, so dass eine baldige Geburt auch daher nicht abwegig war. Und ich konnte und wollte auch nicht mehr. Neben meinen diversen Beschwerden war mein Bauch so groß, dass Carsten schon immer lachen musste, wenn er ihn sah, weil er meinte, der sähe so aus wie angeklebt. Beim Höchststand war ich bei einem Bauchumfang von 114 cm (der Durchschnitt liegt bei etwas über einem Meter), und ich bin eigentlich nicht sonderlich breit gebaut.

Der nach meinem Zyklus errechnete Termin war der 11. Mai; der in den ersten Schwangerschaftswochen nach dem Ultraschall bestimmte Termin war der 16. Mai. Ab Ende April hatte ich immer wieder vereinzelte Wehen und jedes Mal hoffte ich, es würde losgehen, aber jedes Mal war nach einigen wenigen Wehen wieder Schluss. Das Baby wuchs und wuchs. Am 8. Mai wurde das Baby beim Ultraschall auf an die 60 cm und zwischen 4.000 g und 4.500 g geschätzt. Ich konnte es kaum glauben, aber wenn ich meinen Bauch ansah, wusste ich, dass es stimmen musste. Angst hatte ich deswegen aber nicht; irgendwie war ich mir sicher, dass es trotzdem auf normalem Wege rauskommen könnte.

Der 11. Mai kam und ging. Der 16. Mai kam und ging. Irgendwann konnte ich mir schon gar nicht mehr vorstellen, dass das Baby überhaupt jemals da rauskommen würde. Meine Mutter unkte, die Frauenärztin hätte sich um zwei Monate vertan 😉 . Ich fühlte mich wie ein Elefant. Tragen die nicht zwei Jahre lang? Mir war allerdings unklar, warum dieses große und schwere Baby nicht endlich mal da rauswollte. Was machte es denn noch da drin?
Ich probierte diverse Tricks und Hausmittelchen, aß Zimt in rauen Mengen, massierte meinen Bauch mit wehenförderndem UT-Öl, probierte die richtige Mischung zwischen Bewegung und Ausruhen und so weiter und sofort. Nichts passierte. Ich ging so halb im Scherz davon aus, dass das Kind darauf warten würde, dass die Hebamme Julia Hütter, mit der ich auch Lilith bekommen hatte, Bereitschaftsdienst hätte, aber Jules Dienst kam und ging und wieder passierte nichts.

Obwohl ich nie damit gerechnet hätte, mussten wir uns irgendwann doch Sorgen darum machen, ob ich das Kind noch im Geburtshaus bekommen könnte. Ab zwei Wochen nach dem errechneten Termin ist eine Geburt dort nicht mehr möglich und man muss dann ins Krankenhaus. Das wollte ich gerne vermeiden.
Glücklicherweise nahm das Geburtshaus den 16. Mai als Termin an (und nicht den 11. Mai), so dass ich noch ein paar Tage Aufschub hatte. Aber als sich am 20. Mai immer noch nichts getan hatte, vereinbarte ich mit Jule, dass ich (falls das Kind bis dahin immer noch nicht da wäre), am 23. Mai noch einmal zum Ultraschall zur Frauenärztin solle und dass ich dann, wenn dort alles okay wäre, den berühmt-berüchtigten Hebammencocktail mit Rizinusöl bekommen solle. Es kam, wie es kommen musste: Am 23. Mai hatte sich immer noch nichts getan und ich ging zum Ultraschall zur Ärztin. Dort war alles okay (bis auf die unglaubliche Größe und das unglaubliche Gewicht des Kindes – dafür sollte der Kopfumfang angeblich nicht so groß sein, wobei man das schlecht messen konnte, weil der Kopf schon so tief unten im Becken lag…), und so rief ich die Bereitschaftsnummer des Geburtshauses an – in der Erwartung, jetzt direkt dort hinfahren und den Cocktail trinken zu können. Carsten war im Büro in Habachtstellung und bereit, sofort ebenfalls ins Geburtshaus zu kommen. Als Edith mir am Telefon erst für den folgenden Vormittag einen Termin bei Jule gab – erst dann würde die Einleitung mit dem Cocktail besprochen – war ich ein wenig enttäuscht. Aber auf einen Tag mehr oder weniger kam es ja jetzt auch nicht mehr an. Eigentlich wollte ich das Baby allerdings gar nicht so gerne am 24. Mai bekommen, weil an dem Tag auch meine Patentante, zu der ich einen recht engen Kontakt habe, Geburtstag hat und dann wären die Geburtstagsfeiern ständig kollidiert. Aber wenn es so sein sollte… Und immerhin hatte Jule an diesem Wochenende wieder Dienst – vielleicht hatte Luise ja genau auf dieses Wochenende gewartet…

Am 24. um 10 Uhr war dann endlich der ersehnte Termin bei Jule. Sie klärte mich auf, dass es nach dem Trinken des Cocktails zu Durchfall und Übelkeit kommen könne (Durchfall ist ja auch das, was primär durch Rizinusöl ausgelöst wird). Es könne bis zu sechs Stunden dauern, bis Wehen einsetzen. Sollten keine Wehen eintreten, so würden wir einen Tag pausieren, damit sich der Körper von dem Durchfall erholen könne und dann am Montag einen neuen Versuch starten. Das Rizinusöl könne eventuell auch zu einem Wehensturm führen, also zu massenhaft aufeinanderfolgenden und nicht aufhörenden Wehen ohne oder fast ohne Pausen. Schlimmstenfalls würden dabei auch nur Wehen produziert, die nichts bewirken. Sofern diese Stress für das Baby auslösen würden, müsste ich ins Krankenhaus.
Okay, hört sich jetzt nicht so verlockend an, aber trotzdem her mit dem Zeug!
Leider sollte ich den Cocktail aber nicht sofort nehmen; Jule stellte mich vor die Wahl, ihn entweder gegen Abend (bzw. ab 16 Uhr) oder am nächsten Morgen zu trinken – das hatte wohl etwas mit der Hormonkonzentration zu tun. Alles klar: Dann ab 16 Uhr!

Nächster Halt war der Supermarkt: Auf meinem Einkaufszettel standen die Zutaten für den Hebammencocktail: Aprikosensaft, Sahne, alkoholfreier Sekt. An der Kasse stand ein Typ hinter mir, der sich total lustig fand und in Anspielung auf meinen gewaltigen Bauch scherzte, ich hätte was unter meiner Bluse versteckt. Daraufhin ergab sich die inzwischen übliche Unterhaltung mit ihm und der Kassiererin, wann es denn soweit sei („Ich hoffe, jetzt gleich!“) und so weiter. Derartige Unterhaltungen hatte ich dank meines Riesenbauches seit mehreren Wochen täglich. Der Typ mit seinen lustigen Kommentaren wurde recht schnell geflissentlich überhört; die Kassiererin hatte den Tipp, Zimt in rauen Mengen zu essen. Diesen Versuch hatte ich allerdings schon hinter mir. Jetzt war Cocktail-Time!

Wir vereinbarten mit meinen Eltern, dass sie um 15 Uhr kommen und Lilith abholen sollten; letztlich wurde es dann fast 17 Uhr, bis sie wieder weg waren. Da ich nicht wusste, wie schnell der Cocktail wirken würde, wartete ich vorsichtshalber, bis sie gefahren waren, dann mixte ich das furchtbare Gebräu zusammen. Puh, das war ganz schön viel! Über ein Liter Flüssigkeit, und es roch echt ekelig. Neben den oben genannten Zutaten kamen 50 ml Rizinusöl und ein paar Tropfen UT-Öl hinein (was den Geschmack nicht gerade verbesserte).

Die Anweisung von Jule war: Ein Drittel trinken, dann ausruhen, zwei Stunden abwarten und dann wieder anrufen. Okay. Ich verteilte den Cocktail auf dreieinhalb Gläser, die bedrohlich nebeneinander standen. In der Erwartung einer sofortigen Reaktion hielt Carsten die Tür der Gästetoilette sperrangelweit auf und klappte schon mal vorsorglich den Toilettendeckel hoch. Ich holte tief Luft, hielt mir die Nase zu und stürzte so viel ich konnte vom Cocktail hinunter. Mist, ich musste absetzen. In dem Moment schmeckte ich es. Buuuääääähhh. Abartig! Statt auf die Toilette zu sprinten, stürzte ich zum Waschbecken und spülte mir den Mund aus, dann trank ich ein halbes Glas Cola light hinterher. Es half aber nichts – vom ersten Glas war noch einiges übrig. Also noch mal tief Luft holen und hinunter mit dem Zeug. Bääääähhh. Würgereflex unterdrücken, schnell zwei Kaugummis auf einmal in den Mund.
Und dann? Nichts. Es passierte rein gar nichts. Keine Übelkeit, keine Krämpfe, keine Magen-Darm-Geschichten und schon gar keine Wehen. Ich entspannte mich, mir war warm genug, aber nichts passierte. Also konnte Carsten den Toilettendeckel wohl wieder runterklappen.

Nach zwei Stunden rief ich bei Jule an. Die Anweisung: zweites Drittel trinken, zwei Stunden warten, sich warm halten, dann wieder anrufen. Bah, mich schüttelte es schon, wenn ich das Glas nur ansah. Ich war auch so irgendwie immer noch satt und voll vom ersten Teil. Diese Sahnemischung hatte es ganz schön in sich. Egal, nich lang schnacken…
Diesmal wollte ich es wissen und trank nicht nur das zweite Glas, sondern auch noch das zusätzliche halbe, von dem ich eigentlich immer jeweils ein Drittel hätte trinken sollen. Ging zwar auch nur mit Würgen und Schütteln, aber dank zweier Kaugummis, die ich in der Sekunde des letzten Hinunterschluckens direkt in den Mund stopfte und hektisch kaute, behielt ich den Cocktail drin.
Und dann? Man ahnt es schon… nichts. Wirklich gar nichts. Carsten und ich hatten einen echt entspannten Abend (das Kind war ja bei Oma und Opa), aßen Pizza, saßen ewig lange am Esstisch und hatten alle Zeit der Welt, unsinnige Dinge im iPad zu lesen. Nach zwei Stunden rief ich Jule an und berichtete von dem Nichts. Sie schickte uns eine Stunde lang spazieren, danach sollte ich mich wieder melden. Es war inzwischen nach 21 Uhr, als wir durch den fast dunklen, regenfeuchten Bürgerpark marschierten. Mittlerweile glaubten wir beide nicht mehr daran, dass der Cocktail überhaupt noch wirken würde. Das einzige, was ich merkte, waren Rückenschmerzen, aber im Bauchbereich tat sich überhaupt gar nichts. Nach dem einen EET war ich inzwischen 13 Tage drüber, nach dem anderen EET immerhin auch schon acht. Wir berieten darüber, ob ich mich in den nächsten Tagen schon mal in Gilead I vorstellen sollte, damit die dort schon mal darauf vorbereitet wären, dass ich zur Einleitung käme. Im Geiste sah ich mich dort schon mehrere Tage mit unterschiedlichen Mitteln einleiten und am Ende doch im Kaiserschnitt enden, weil dieses Kind von selber einfach nicht raus wollte. Sehr frustrierend alles.

Um kurz nach 22 Uhr rief ich Jule wieder an, in der Erwartung, jetzt das letzte Drittel zu trinken (wobei ich davon ausging, dass auch danach nichts passieren würde). Sie sagte jedoch, sie habe mit Edith (die heute als zweite Hebamme Dienst hatte) darüber beraten und ich solle den letzten Teil lieber nicht trinken, sondern erst mal abwarten. Falls heute Nacht nichts passieren würde, sollte ich mich morgen früh um 9 Uhr noch mal melden. Ich glaubte zwar nicht so richtig daran, dass es nachts losgehen würde, aber so ganz hatte ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Mir war aber echt unklar, worauf dieses Kind noch wartete! Carsten meinte: „Das ist wie bei Lilith, wenn die auf einer ganz hohen Rutsche sitzt und unbedingt rutschen will, sich aber nicht so richtig traut und dann ewig oben sitzen bleibt.“

Den Abend über hatte ich ein paar Wehen – aber noch nichts, was sich nicht aushalten ließ. Solche Wehen kannte ich schon aus den letzten Tagen und ich wusste ja noch vom letzten Mal: Geburtswehen fühlen sich anders an. Obwohl wir also wenig Hoffnung hatten, nahmen wir uns vor, früh ins Bett zu gehen, damit wir ausgeschlafen wären, falls es doch losgehen würde. Tja, irgendwie klappte das nicht so richtig. Wir trödelten ziemlich herum – immerhin musste man es ja auch nutzen, einen Abend lang kinderfrei zu sein. Ziemlich spät entschieden wir uns, vorsichtshalber noch unsere wöchentlichen Bauchfotos zu machen, bevor es zu spät wäre…(wir hatten die gesamte Schwangerschaft über jede Woche meinen wachsenden Bauch fotografiert) – diesmal von Woche 42. Ich bin sehr froh, dass wir uns noch dazu durchgerungen haben, denn am nächsten Tag wäre es zu spät gewesen… Das letzte Foto ist übrigens von 23.18 Uhr.

Carsten schlief um kurz nach 0 Uhr ein; ich selbst war um 0.30 Uhr noch wach und plötzlich passierte wenigstens ETWAS: Ich bekam Durchfall. Yippie! Ich hab mich ja noch nie in meinem Leben über Durchfall gefreut, aber diesmal war das ja ein Zeichen dafür, dass das Rizinusöl wirkte. Nach einigen Minuten war der Spuk vorbei. Leicht schmerzhafte Wehen hatte ich auch, aber ich sagte mir, dass es besser wäre zu schlafen, solange es noch ging. Wenn es falsche Wehen wären, würden sie weggehen (und dann brachte es auch nichts, jetzt wachzubleiben) und wenn es Geburtswehen waren, würden sie noch weeeesentlich stärker werden, so dass ich dann sowieso wach werden würde. Vorsichtshalber nahm ich zwei Paracetamol (das hatte ich auch irgendwo gelesen und die darf man in der Schwangerschaft ja auch nehmen), damit ich trotz der leichten Schmerzen schlafen konnte. Ich war auch echt müde und schlief bald darauf ein.

Plötzlich wurde ich von einem heftigen Schmerz aus dem Schlaf gerissen. Ich guckte auf die Uhr: 2.23 Uhr. Ich brauchte kurz, um wach zu werden. Und dann: Zack. Oooohhh. Aua! Noch eine!
Tatsache, eine richtige Wehe. Ich wagte eigentlich gar nicht zu hoffen, dass die Geburt jetzt doch noch losgehen würde, aber das war so heftig, das musste ernst sein.
Etwa sieben Minuten später kam die nächste. AUA! Im Liegen war das nicht auszuhalten, also stand ich auf. Mist, ich war echt müde und hätte mich gerne zwischendurch ein bisschen ausgeruht, aber daran war jetzt nicht mehr zu denken. Das richtige Licht erschien mir zu grell, also zündete ich zwei Kerzen an, die bei uns auf der Fensterbank stehen. Irgendwie gab das eine sehr schöne kuschelige Stimmung – bzw. hätte es gegeben, wenn es nicht so wehgetan hätte 😉 .

Carsten wachte auf, und obwohl ich noch kaum traute, es auszusprechen, sagte ich: „Ich hab Wehen. Da ich dabei mit dem Rücken zum Raum an die Fensterbank geklammert stand, hatte er auch keinen Zweifel daran, dass es echt war – genauso hatte ich nämlich bei der letzten Geburt auch gestanden.
Irgendwie störte mich das aber, dass es nun genauso aussah wie beim letzten Mal. Ich weiß nicht, WAS mich daran störte, aber es störte mich. Ich wollte es diesmal anders haben.

Die Wehen waren von Anfang an echt heftig – wirklich schlimme Schmerzen. Aber noch nicht so heftig, dass ich das Bedürfnis gehabt hätte, ununterbrochen mit dem Kopf gegen die Wand zu donnern. Das kam erst etwa zwanzig Minuten später… Anfangs versuchte noch, die Muskeln so weit wie möglich zu entspannen, indem ich mein Becken kreisen ließ. Ich kam mir dabei einigermaßen bescheuert vor – wie so eine Urmutter beim rituellen Gebärtanz. Aber ich dachte, vielleicht hilft’s. Außerdem atmete ich konzentriert mit, auch wenn ich von der Wirkungsweise nicht wirklich überzeugt war. Dass man richtige, fiese Geburtswehen nicht „VERatmen“ kann, wie einem vor der Geburt ständig weisgemacht wird, hatte ich schon bei der ersten Geburt leidvoll erfahren. VERatmen suggeriert ja, dass die Wehen durch das Atmen weggehen würden. Tun sie aber nicht. Auch der Schmerz wird nicht weniger. Kein Stück. Man sorgt halt nur dafür, dass man nicht zu sehr verkrampft und dass man genug Sauerstoff im Körper hat. Und man hat einen Strohhalm, an den man sich klammern kann, um nicht völlig den Verstand zu verlieren.

Also atmete ich mit den Wehen mit und versuchte dabei, mir ein Mantra vorzusagen, das ich bei babycenter.de gelesen hatte. Man soll während der Wehen beim Einatmen denken „Geh“ und beim Ausatmen „auf!“ und sich dabei vorstellen, wie sich der Muttermund wie eine erblühende Rose öffnet. Irgendwie war mir das aber nicht so ganz geheuer; ich war weder in der Stimmung, eine sich öffnende Rose zu visualisieren noch überhaupt an meinen Muttermund zu denken. Ich wollte einfach nur, dass es vorbeigeht. Da ich gelesen hatte, dass man während der Wehen immer wieder Kontakt zum ungeborenen Kind aufnehmen soll, versuchte ich, meiner kleinen Luise zu sagen, dass sie keine Angst zu haben braucht und dass wir das jetzt gemeinsam schaffen werden. Ein bisschen komisch kam mir das schon vor, aber wer weiß? Vielleicht merkt so ein Ungeborenes es ja doch irgendwie, wenn man ihm Mut zuspricht.

Zwischendurch ging ich ins Bad, um zu versuchen, alles, was ggf. noch an Durchfall da wäre, rauszulassen, aber es kam nichts mehr. Dann ging ich wieder zurück ins Schlafzimmer; dort gefiel mir das Kerzenlicht besser als das entweder stockdunkle oder taghelle Badezimmer.

Ziemlich schnell wurden die Wehen wirklich heftig. Und zwar so richtig heftig. So, dass es auch mit Beckenkreisen und Atmen langsam schwierig wurde. Bei der letzten Geburt hatte ich zu diesem Zeitpunkt angefangen, laut zu schreien, aber das verkniff ich mir dieses Mal weitgehend. Ich war mir zwar nicht sicher, ob das Verkneifen vielleicht hinderlich war, weil durch das „Tönen“ ja angeblich auch der Muttermund geöffnet wird, aber irgendwie wollte ich es dieses Mal anders hinter mich bringen. Na gut, so ganz leise war ich diesmal auch nicht – „Aaaaaaah!“ und „Aua aua AUA! Das tut sooooo weeeeeeeeeeeh!“ war schon von mir zu hören. Aber eben nicht diese markerschütternden Schreie, die man letztes Mal draußen auf der Straße hörte, obwohl ich mich im nach hinten gelegenen Schlafzimmer im ersten Stock befand.
Carsten hatte deshalb den Eindruck, die Wehen wären diesmal weniger heftig, aber das stimmte nicht. Während der Wehen war ich kurz vor dem Durchdrehen. Das sind echt Schmerzen, die sich niemand vorstellen kann. Wahrscheinlich fühlen sich Wehen bei jeder Frau anders an, aber bei mir zumindest sind Wehen nicht diese manchmal in Schwangerschaftsratgebern beschriebenen Wellen, die sich langsam ankündigen, sanft heranrollen, eine Spitze haben und dann wieder abflachen. Bei mir fühlte es sich so an: Ich hatte ungefähr drei bis fünf Sekunden lang Zeit, zu merken, dass sich alles zusammenzog und dann „BOOOUUUUM!“ war mein kompletter Unterleib ein einziger Schmerz. Und zwar ein stechender, bohrender, alles zerfressender Salzsäure-getrunken-und-Schwert-im-Unterleib-Schmerz. Ein Schmerz, bei dem ich einfach nur hoffen konnte, das irgendwie zu überleben. Ich war immerhin in der Lage zu denken: „Einfach aushalten. Einfach aushalten.“ Das war mein Mantra – anstelle der sich öffnenden Rose 😉 . Parallel dazu krallte ich meine Nägel in diverse Körperteile oder biss unter die Unterlippe oder in meinen Oberarm. Noch mehrere Tage nach der Geburt hatte ich sowohl einen Abdruck unter der Unterlippe als auch einen blauen Fleck am rechten Oberarm. Erst wusste ich gar nicht, woher der kam – bis mir dann aufging, dass er sich genau in Beißhöhe befand…

Die Wehen kamen mittlerweile in unheimlich kurzen Abständen. Oft waren es mehrere nacheinander. Einmal habe ich darauf geachtet; da waren es drei Wehen mit jeweils 10 Sekunden Abstand dazwischen. Das war wirklich unerträglich. Ich wünschte mir einfach nur eine Pause. Aber die gab es nicht. Ich weiß noch ganz genau, wie ich nach diesen drei Wehen neben der Fensterbank und vor unserer Balkontür stand und es verflucht habe, den Cocktail überhaupt getrunken zu haben. Wenn das jetzt nur künstliche Wehen waren, die nichts am Muttermund bewirkten, dann würde ich durchdrehen! Das konnte ich in dieser Intensität auf gar keinen Fall noch zehn oder zwölf Stunden aushalten (der Muttermund öffnet sich ja im Schnitt etwa einen Zentimeter pro Stunde). Nie im Leben!
Immerhin konnte ich froh sein, das letzte Glas des Rizinuscocktails nicht mehr getrunken zu haben, sonst wäre ich zu diesem Zeitpunkt wohl eine einzige Wehe gewesen.

Zwischendurch fiel mir ein Geburtsbericht ein, bei dem sich die Gebärende während der Wehen in einen Türrahmen geklemmt hatte, um einen Gegendruck gegen den Wehendruck zu erzeugen. Das probierte ich nun auch aus, hielt also den Türrahmen an der einen Seite mit beiden Händen fest und presste gleichzeitig den Po gegen die andere Seite. Ich kann zwar nicht unbedingt sagen, dass es den Schmerz tatsächlich linderte, aber zumindest minderte es das irremachende Gefühl, nicht zu wissen wohin mit dem Schmerz.

Nach einer Stunde Wehen bat ich Carsten, Jule anzurufen, damit wir uns direkt im Geburtshaus treffen könnten. Ich wollte unbedingt in die Badewanne, weil ich hoffte, die Wehen dadurch etwas erträglicher zu machen (hatte beim letzten Mal auch geklappt) und wir haben leider keine. Ich hatte mit den Hebammen auch im Vorfeld besprochen, dass ich nach Möglichkeit eine Wassergeburt machen möchte. Leider vereinbarten Carsten und Jule, dass Jule erst zu uns nach Hause kommen würde. Das gefiel mir gar nicht, weil ich es kaum noch aushielt vor Schmerzen, aber ich sagte nichts, weil ich wusste, dass es sowieso nichts bringen würde. So ist halt der normale Ablauf.
Meine größte Sorge war in dem Moment immer noch, dass dies nur ein künstlicher Wehensturm wäre – mit Wehen, die nicht mehr aufhörten aber auch nichts bewirkten. Mir war absolut klar, dass ich dies nicht viel länger aushalten konnte. Wenn der Muttermund gleich, wenn Jule käme, nicht wenigstens 3 cm eröffnet wäre, würde ich das hier abbrechen und ins Krankenhaus fahren und mir eine PDA geben lassen. Das stand für mich tatsächlich fest und das hätte ich auch so gemacht. Ich rechnete im Geiste schon aus, wie lange es dauern würde, bis Jule käme, bis wir dann im Krankenhaus wären, bis ich dort aufgenommen wäre (ohne vorherige Anmeldung), bis ein Anästhesist käme und bis die PDA dann wirken würde. Zwei bis drei Stunden würde ich wohl noch durchhalten müssen. Aber immer noch besser als dass dieser Horror hier noch zwölf Stunden lang oder womöglich sogar noch länger weiterginge. Das war für mich wirklich unvorstellbar.
Nachdem ich jedoch auf dem Toilettenpapier frisches Blut entdeckte, schöpfte ich Hoffnung: Nach meinem angelesenen Halbwissen deutete das auf eine schnelle Muttermunderöffnung hin.

Als Jule dann (erstaunlich schnell!) da war (und ich mich dafür entschuldigt hatte, dass wir sie mitten in der Nacht aus dem Bett gerissen hatten, obwohl sie doch gerade erst eine andere Geburt hinter sich hatte), teilte ich ihr das alles auch genauso mit – also sowohl das von dem frischen Blut als auch: „Wenn sich nichts nennenswertes am Muttermund getan hat, will ich sofort ins Krankenhaus und eine PDA. Ehrlich jetzt, das ist mein Ernst.“ Ich meinte das auf keinen Fall böse oder gegen das Geburtshaus gerichtet; ich konnte nur diese Horrorwehen ohne nennenswerte Pausen dazwischen nicht mehr aushalten. Als Jule mich dann untersucht hatte, kam die Erleichterung: „Sieben bis acht Zentimeter. Es steht nur noch ein Saum.“ Puh! Den Stein, der mir vom Herzen gefallen ist, konnte man wahrscheinlich kilometerweit plumpsen hören. Ein Glück! Also war nicht alles umsonst! Danke, danke, danke! Erstaunlicherweise waren ab dem Zeitpunkt, ab dem Jule da war, die nächsten Wehen nicht ganz so schmerzhaft und kamen auch in etwas größeren Abständen. Vielleicht war es die Ablenkung, vielleicht zum Teil auch die Erleichterung.

Jule verständigte Edith, dass sie als zweite Hebamme direkt ins Geburtshaus kommen solle, und fuhr dann vor ins Geburtshaus; wir hinterher. Witzigerweise hatte ich genau dasselbe Shirt an, mit dem ich auch bei Liliths Geburt ins Geburtshaus gefahren war. Carsten hatte in den letzten Minuten schon alles ins Auto gepackt, so dass ich nur noch runter zu rennen brauchte und wir dann losfahren konnten – er hatte wohl durch die erste Geburt gelernt, dass in dieser Situation mit mir nicht zu spaßen ist 😉 . Ich sagte nur noch: „Wir machen das so wie beim letzten Mal“ und kniete mich rückwärts auf den Beifahrersitz, so dass ich mich an der Kopfstütze festhalten konnte. Diesmal war Carsten auch so schlau, an der roten Ampel vor dem Polizeipräsidium nur so lange zu anhalten, dass der von der Seite kommenden Verkehr durchfahren konnte und dann vorsichtig aber zügig weiterzufahren (letztes Mal hätte ich ihn fast gelyncht, als er dort vorschriftsmäßig gehalten hat). Glücklicherweise schaffte ich die paar Minuten bis zum Geburtshaus mit einer oder zwei Wehen, während derer ich es dann aber doch nicht in der gebückten Haltung aushielt und mich – soweit das in einem normalen Pkw möglich ist – während der Fahrt hinstellen musste. Also stand ich quasi schräg mit den Hacken ganz vorne im Fußraum und mit dem Nacken unter dem Dach und stöhnte und schrie dabei mit schmerzverzerrtem Gesicht in meinen Ärmel.

Als wir ankamen, hatte ich direkt noch eine Wehe, und obwohl ich nichts sehnlicher wollte als endlich ins Geburtshaus hineinzurennen, musste ich dann noch tatsächlich noch mich-am-Autodach-festhaltend dort stehenbleiben und die Schmerzen bis zum Ende aushalten. Gut, dass um diese Uhrzeit noch nicht so viele Menschen unterwegs waren… Dann gab es aber kein Halten mehr und ich lief zur Tür, so schnell mir das in meinem Zustand möglich war.

Drinnen empfingen uns Jule und Edith. Ich war ein wenig verzweifelt, dass die Badewanne noch nicht voll war – schließlich sah ich die ja als meine Rettung gegen die fiesen Wehen an. Aber es ging eben nicht schneller. Ich merkte auch, dass ich offenbar sehr geruchsempfindlich war. Schon als Jule zu uns nach Hause kam, dachte ich „Oh, die hat sich aber ganz schön doll einparfümiert“, ebenso ging es mir jetzt mit Edith. Die beiden konnten natürlich nichts dafür; das war wohl geburtsbedingt. Obendrein roch es im Geburtshaus-Badezimmer nach einem Badzusatz, von dem mir fast übel wurde. Schnell wog ich meine Möglichkeiten ab, entschied aber dann, nichts zu sagen und lieber die Zähne zusammenzubeißen als dass das Wasser wieder aus der Wanne gelassen und neu eingelassen werden würde.

Zunächst sollte ich sowieso noch mal auf die Toilette gehen und wenn möglich auch eine bis zwei Wehen lang dort sitzenbleiben. Das ging GAR nicht. Die Wehen waren so schon der reinste Horror und sobald eine kam, musste ich unweigerlich aufspringen. An Sitzen war dabei gar nicht zu denken. Witzig fand ich es irgendwie, dass Edith mir noch sagte: „Aber nicht von innen abschließen!“ Haha, ich hatte nicht vor, das Kind alleine auf der Toilette zu bekommen… Auch wenn Jule wohl noch die erste Geburt im Kopf hatte, bei der ich mich ewig lange alleine auf dem WC aufhalten wollte und alle weggeschickt hatte. Aber auch da hatte ich nicht vorgehabt, das Kind dort zu kriegen.

Da die Wanne noch nicht einsatzbereit war, suchte ich mir einen schönen Türrahmen, in den ich mich einklemmen konnte – den zum Badzimmer. Seitdem weiß ich auch, dass die Altbautüren im Geburtshaus breiter sind als unsere normalen; ich musste nämlich ziemlich vornübergebeugt stehen, damit es passte. Carsten hat ein witziges Foto davon gemacht, wie ich dort stehe und Edith gleichzeitig die Herztöne abhört.
Apropos Herztöne: Die waren jederzeit völlig in Ordnung; das Baby schien von allem völlig unbeeindruckt zu sein. Wenigstens eine von uns beiden…
Edith untersuchte nochmal den Muttermund; ich glaube, er war eröffnet, aber das Baby musste sich noch weiter runter drehen. So ganz sicher bin ich mir da jetzt aber nicht mehr.

Irgendwann war die Wanne dann endlich soweit gefüllt, dass ich mich reinlegen konnte. Und – ein Glück: Das Wasser war wirklich eine Wohltat. Die Wehen taten zwar nach wie vor verdammt weh, aber irgendwie konnte ich mich wenigstens zwischen den Wehen ein bisschen mehr entspannen.

Ich kann übrigens auch diesmal wieder nicht bestätigen, dass einem während der Wehen alles egal ist und dass man die Atmosphäre und das ganze Drumherum kaum wahrnimmt. Auch wenn ich in dem Moment wirklich andere Sorgen hatte, fand ich die ruhige, liebevolle Atmosphäre im Geburtshaus wirklich schön und beruhigend – und selbst während ich in die Wanne kletterte, hatte ich noch genügend Aufmerksamkeit übrig, um die schönen Handtücher von Pip Studio zu bewundern und mir Gedanken darüber zu machen, ob die wohl nach einem Geburtseinsatz wieder sauber würden…

Zwischendurch rief ich den Hebammen zu, dass ich gerne was gegen die Schmerzen hätte. Eigentlich meinte ich das gar nicht richtig ernst, weil ich ja wusste, dass es im Geburtshaus keine Schmerzmittel gibt. Wider Erwarten kam Edith jedoch und brachte mir ein homöopathisches Mittel. Ich kann zwar nicht sagen, dass die Schmerzen dadurch gelindert worden wären, aber rein psychologisch war es ganz gut, wenigstens etwas versucht zu haben.

Im Laufe der nächsten Wehen bekam langsam leichten Pressdrang. Ich wunderte mich sowieso schon ein wenig, dass ich noch nicht mitten in der Pressphase war, weil der Muttermund ja schließlich schon bei uns zu Hause fast geöffnet gewesen war. Gefühlt dauerte das alles zu lange… In Wirklichkeit war es glaube ich ganz normal, aber die Schmerzen sorgten wohl für ein etwas verzerrtes (= beschleunigtes) Zeitempfinden. Ich war mir auch nicht so sicher, ob ich nun schon mitschieben sollte oder ob es noch zu früh war und schob mal probehalber so ein bisschen an. Oft berichten ja Frauen, sie wären erleichtert gewesen, als die Presswehen kamen, weil sie dann endlich was tun konnten. Ich fand ehrlich gesagt, dass das Pressen/Schieben den Schmerz eher noch verstärkte, weil da, wo man hinpresst, ja nun wirklich eigentlich überhaupt kein Platz ist für das, was da rausgepresst werden soll. Aus Angst vor der Geburt hatte ich während dieser Schwangerschaft auch das Hypnobirthing-Buch gelesen, in dem behauptet wird, man müsse gar nicht pressen – im Gegenteil; das sei eher kontraproduktiv – sondern das Kind nur sanft herausatmen. Das kam mir sehr gelegen, also probierte ich jetzt aus, das Kind ein wenig hinunterzuatmen. Tja, es war so, wie ich schon befürchtet hatte: Das Kind ließ sich nicht sanft hinunter- oder gar hinausatmen. Das Hinunterdrücken tat, auch wenn ich es noch so sanft tat, schlicht und einfach schweineweh. Und zwar genau deshalb, weil so ein Babykopf per se einfach größer ist als die entsprechende Beckenöffnung der Frau.
Ich versuchte, dem Baby nochmal Mut zuzusprechen, aber irgendwie kam ich mir leicht albern dabei vor, und außerdem konnte ich mir auch noch nicht so richtig vorstellen, dass da wirklich gleich ein Baby aus mir rauskommen würde. Eigentlich wollte ich das Ganze am liebsten abbrechen und notfalls noch einige Monate länger schwanger sein – das ging mir allerdings während der kompletten Geburt so und war daher leider kein Zeichen dafür, dass es bald zu Ende war 😉 . Ich musste immer an meine Frauenärztin denken, die mir neulich noch gesagt hatte, sie könne gar nicht verstehen, warum manche Frauen bei der Geburt rumjammern und schreien „Ich will nicht!“ Man könne dann doch sowieso nicht zurück und solle einfach pressen was das Zeug hält, damit es schnell vorbei ist. Ha. Ha. Ha. Ich wusste natürlich ganz genau, dass es kein Zurück gab, aber TROTZDEM wollte ich nicht. Das schließt sich gar nicht aus 😉

Irgendwann kam Jule und sagte, wenn ich Druck nach unten fühlte, könnte ich ruhig schon mal ein bisschen mitschieben. Ich sagte ihr, das sei gerade schon der Fall gewesen, und das fand sie offenbar gut. Dann ging sie wieder zurück in den Geburtsraum, wo sie mit Edith und Carsten wartete und wahrscheinlich schon ein paar letzte Dinge vorbereitete. Wie schon bei der ersten Geburt wollte ich am liebsten möglichst alleine in der Wanne liegen; es machte mich nervös, wenn jemand am Wannenrand saß und mich beobachtete. Glücklicherweise respektierten alle das, so dass nur ab und zu mal jemand kam, um nach den Herztönen zu hören. Im Übrigen waren wir ja auch in Sprechweite; wenn ich Unterstützung gebraucht hätte, hätte ich sie sofort gehabt.

Leider machte Jule meinen Plan einer Wassergeburt zunichte. Sie kündigte an, nach der nächsten Wehe sollte ich aus der Wanne rauskommen. Hmmm, eigentlich hatte ich das doch anders geplant und auch so mit den Hebammen besprochen?! Ich rief also: „Kann ich das Kind nicht hier drin kriegen?“ Sie: „Nein.“ Ich: „Was spricht denn dagegen?“ Sie: „Die Größe des Kindes?!“ Hm, klare Frage, klare Antwort. Offenbar fand sie das als Begründung ausreichend und ich hatte in dem Moment auch keine Lust zu diskutieren. Ich fand es ein bisschen schade, aber schließlich ist Jule ja die Expertin.
Die nächste Wehe kam und ich versuchte, sie so gut es ging zu unterdrücken, weil ich die Schmerzen einfach leid war. Ich wusste zwar, dass ich die Quälerei dadurch nur verlängerte und die Schmerzen eigentlich zulassen und sogar quasi mitten rein springen musste, aber ich wollte in dem Moment einfach eine Pause. Nebenan lachten die anderen drei, als sie mein leises Ächzen hörten; sie dachten, ich wollte die Wehe verheimlichen und noch eine Wehe länger in der Wanne bleiben. Guter Ansatz – ich hatte auch drüber nachgedacht, genau das zu tun 😉 . Dann wäre ich allerdings noch leiser gewesen 😉 .

Also hieß es raus aus der Wanne und ab in den Geburtsraum. Ich hatte ein leichtes Déjà-Vu, weil ich genau nach zwei Jahren und zwei Monaten wieder halbnass in meinem rosa Bademantel, den ich seit Liliths Geburt so gut wie gar nicht angehabt hatte, im frühmorgendlichen Halbdunkel in den Geburtsraum kam, in dem Jule und Carsten warteten. Schnell versuchte ich, die unguten Erinnerungen an die Pressphase bei der letzten Geburt abzuschütteln. Augen zu und durch.

Zunächst sollte ich mich aber auf das Bett legen, damit Jule mich untersuchen konnte. Moment – eine Mörderwehe. „Auuuuuaaaaaaa!“ Okay, hinlegen. Uhhhh, noch eine. Herr im Himmel! Das war eine der schlimmsten aller schlimmen anzunehmenden Wehen. Diesmal war ich auch wirklich laut, obwohl ich dabei daran denken musste, ob Meike Görlich das jetzt wohl oben in ihrer Wohnung hört. Aber es tat sooo weh! Und obwohl ich wusste, dass das Quatsch ist, schrie ich: „Aua aua AUAAAAA! ICH WILL NICHT MEHR! Das soll aufhöööööörn!“ und musste dabei an meine Frauenärztin denken… Ich weiß noch ganz genau, wie ich dabei auf der rechten Seite lag und die Wand anschrie. Dann biss ich mir in den Oberarm, um den Schmerz irgendwie zu überleben.
Sobald die Wehe vorüber war, begann Jule mit der Untersuchung. Der Kopf war noch nicht in der richtigen Position. Gedanklich versuchte ich mich schon darauf einzustellen, mich jetzt mehrere Wehen lang von einer Seite auf die andere drehen und in diverse Positionen turnen zu müssen – und überlegte, wie ich das durchhalten sollte. Während einer Wehe zu liegen, ließ mich fast die Wände hochgehen; das ging gar nicht.

Während ich noch Jules Hand in mir drin spürte, machte es plötzlich „Platschhhhhhhhh!“ Ich spürte ein leichtes Platzen und massenhaft warmes Fruchtwasser floss aus mir raus. Im selben Moment drehte sich das Baby unter den schlimmsten Schmerzen der Welt (für mich, ich hoffe, nicht für das Baby!) komplett durch den Kanal und lag dann genauso, wie es liegen musste, um rauszukommen. Ich fragte Jule, ob sie die Fruchtblase aufgestochen hätte, aber sie sagt, sie sei da nur leicht drangekommen; die Fruchtblase sei von alleine geplatzt.

Dann also auf in den Endspurt.
Obwohl ich lieber den Geburtshocker benutzt hätte (das stellte ich mir weniger anstrengend vor, aber laut Jule verursacht der so unschöne Risse), fügte ich mich in den Plan, mal wieder in der tiefen Hocke zu gebären, und zwar so, dass Carsten auf dem Bett saß und ich mit dem Rücken zu ihm davor hockte und mich mit den ausgestreckten Armen hinten auf seinen Beinen abstützte und er mich dabei hielt.
Jule machte den Vorschlag, dass ich nach einer Wehe jeweils aufstehen und mich dann zu Beginn der nächsten Wehe jeweils mit Schwung nach unten in Carstens Arme fallen lassen sollte, um so die Schwerkraft noch besser zu nutzen. Okay, los geht’s. Die nächste Wehe rollte schon an. Was machte Carsten denn da noch so bequem nach hinten auf das Bett gelehnt?! Der quatschte da noch mit den Hebammen und ich stand hier und wusste nicht wohin! „Mann, Carsten, los jetzt!“ Die anderen lachten über meine Unfreundlichkeit. „Ich hab doch keine Zeit, die Wehe kommt!“ Und schon schmiss ich mich in die Hocke und Carsten konnte sich gerade noch rechtzeitig auf die Bettkante setzen, um mich aufzufangen.
Und dann ging es los. „Schieb, schieb, schieb! Und Luft holen. Und nochmal! Schieben. Ja! Super!“ feuerte Jule mich an. Und ich schob und presste, was das Zeug hielt. Ich war mir gar nicht mehr so sicher, wie lange die Wehe dauerte, weil Jule mich länger anfeuerte als ich eigentlich was spürte. Aber das war mir egal; ich dachte mir, je länger ich presse, desto besser. Dann stand ich auf. Kurz darauf kam schon die nächste Wehe; ich sagte Carsten Bescheid und ließ mich wieder nach unten fallen. Und dann wieder: „Schieben, schieben, schieben! Ja! Super! Und weiter! Und noch weiter! Und wenn du kannst, tief Luft holen und noch mal!“ Und wieder schob ich wie eine Wahnsinnige. „Boah, hast Du eine Kraft!“, sagte Jule. Ich war mir nicht sicher, ob das stimmte oder sie das zu allen Gebärenden sagt, aber das war mir auch egal. Ich beschloss, es für diesen Moment erst mal zu glauben.

Nach der Wehe stand ich wieder auf, aber viel Zeit zum Erholen blieb mir leider nicht. Ich hatte es eigentlich so in Erinnerung, dass die Wehenabstände während der Presswehen größer werden; daher hatte ich mich darauf eingestellt, jetzt endlich mal fünf Minuten Pause zwischen den Wehen zu haben. Aber nix da. Die Wehen kamen nach wie vor in sehr kurzen Abständen, meistens stand ich gerade erst und dann kam direkt die nächste. Das war schrecklich anstrengend und schmerzhaft. Während der Presserei kniff ich die Augen fest zu und kniff mir gleichzeitig mit der Hand ins ganze Gesicht (ich weiß nicht, wie ich das besser beschreiben soll), um einen Gegendruck zu erzeugen, aber auch, um mich ein bisschen vor den Blicken der Hebammen zu „verstecken“. Trotz der ganzen Qual musste ich nämlich noch den Bruchteil eines Gedankens daran verschwenden, wie bescheuert ich wahrscheinlich beim Pressen aussah, und besonders Edith gegenüber, die ich noch nicht so gut kannte, war mir das irgendwie unangenehm. Ich weiß, ich weiß, das ist totaler Quatsch und Hebammen sehen sowas jeden Tag. Aber ICH befinde mich nicht jeden Tag in einer solchen Situation und für mich war es eben irgendwie unangenehm.

Nachdem ich mit dem Dammriss, den ich bei der ersten Geburt davongetragen hatte, noch heute zu kämpfen hatte (bzw. mit der Naht), hatte ich jetzt ziemliche Angst davor, wieder zu reißen. Ich wusste allerdings, dass ich diese Angst irgendwie ausblenden musste, sonst würde ich mich nie im Leben trauen, so heftig zu pressen, dass dieses riesige Kind da rauskäme – zumal das sanfte Hinausatmen definitiv gescheitert war.
Während der Presswehen soll man ja nicht mehr schreien, um die Energie, die man für’s Pressen braucht, nicht für’s Schreien zu verschwenden. Aber diese Schmerzen sind so unvorstellbar gewaltig, dass ich zumindest bei ein, zwei Wehen genügend Energie für beides hatte: sowohl für’s Pressen als auch für’s Schreien. Danach war ich aber wieder „vernünftig“ und habe während der Presserei und Schieberei nur mittellaut geächzt (so wie man halt ächzt, wenn man sehr stark presst…), auch wenn mir eher nach Schreien, Brüllen und Fluchen zumute war.
Eine oder zwei Wehen setzte ich einfach aus. Auch wenn ich wusste, dass ich das Elend damit nur hinauszögerte – ich brauchte einfach eine Pause. Das war für Jule aber auch okay und dafür war ich ihr sehr dankbar. Die Herztöne waren aber auch nach wie vor bestens – die Kleine störte das ganze Wehenspektakel offenbar kein Stück.
Die anderen drei außer mir auch nicht. Wie bei Liliths Geburt war es auch jetzt wieder ein wunderschöner, sonniger Sonntagmorgen – perfekt, um geboren zu werden und vielleicht auch perfekt, um bei einer Geburt dabei zu sein. Um zu gebären wäre mir allerdings ein Gewitter lieber gewesen. Das hätte meiner Stimmung und der ganzen Urgewalt, die in mir tobte, eher entsprochen…

Dann ging es weiter. Ich beneide alle Frauen, die sagen können: „Drei Presswehen und dann war sie da.“ Das war bei mir leider nicht der Fall. Es waren echt viele Presswehen und echt viele Male, in denen ich mich wieder aus dem Stand in die Hocke fallen ließ und presste und schob als ginge es um mein Leben. Naja, irgendwie ging es ja auch um (m)ein Leben 😉 .
Insgesamt dauerte die Pressphase zwar „nur“ vielleicht 30 bis 40 Minuten, aber da ich zwischen den Wehen immer höchstens zwei Minuten Pause hatte, passten trotzdem ganz schön viele Wehen in diese Zeit. Und es tat soooo weh. Aber irgendwie versuchte ich, alles auszublenden und es einfach hinter mich zu bringen. Noch mal. Und noch mal. Und noch mal. Ohne Rücksicht auf ein etwaiges Reißen oder sonstwas (auch wenn ich das nach wie vor im Kopf hatte).
Ich hätte mich so gerne nur ein paar Minuten ohne Wehen hingesetzt oder am besten hingelegt, aber das ging nicht.
Irgendwann sagte Jule, sie könne ganz viele Haare sehen. Ich stellte mich darauf ein, dass es nun trotzdem noch einige Zeit dauern könnte. Aber schon wenige Wehen später sagte sie: „Das war der Kopf.“ Ich war ganz überrascht und konnte es kaum glauben: „Echt? Der Kopf ist schon draußen?“ Die letzte Wehe war zwar lang und schmerzhaft gewesen, aber nicht wesentlich schlimmer als die Wehen davor.
Jetzt konnte ich mich tatsächlich nicht mehr hinsetzen 😉 . Das war um 5.52 Uhr oder 5.53 Uhr.

In der nächsten Wehe nahm ich noch mal alles zusammen, was ich hatte. Ich wollte dieses Kind jetzt draußen haben. Ich presste und presste und presste. Ich spürte, wie Jule den Körper des Kindes hielt und wie das Kind sich langsam immer weiter raus bewegte. Das dauerte echt lange. Ich dachte nur „Hoffentlich zieht sie nicht zu sehr.“ (ich hatte als Worst-Case-Szenario natürlich gleich eine Schulterdystokie im Kopf, was völliger Quatsch war, aber gefühlt dauerte es halt soooo lange). Die Wehe war schon vorbei und ich musste immer weiter schieben, schieben, schieben und es kam immer mehr Kind hinterher. Das musste ja riesig sein! Endlich war es draußen. Endlich! Da landete sie in Jules Händen auf dem Boden des Geburtshauses und brachte einen großen Schwall Fruchtwasser und Blut mit. Ich war unendlich erleichtert und setzte mich direkt dort, wo ich vorher gehockt hatte, mitten in die Lache. Es war mir vollkommen egal, worin ich saß. Ich war sooo erleichtert! Da war sie endlich, meine Luise Josephine. Sie hatte viele dunkle Haare und war ein bisschen blau, bewegte sich aber und atmete ganz offensichtlich.
Die Uhr zeigte 5.55 Uhr am 25. Mai 2014. Jule und Edith rubbelten Luise ein bisschen mit einem rosa Handtuch und sie fing direkt an, dagegen zu protestieren. Ich fragte: „Darf ich?“ und nach dem „Ja, natürlich“ nahm ich sie auf den Arm und beruhigte sie mit dem typischen Mama-Quatsch, den man halt so redet, wenn man ein kleines Baby beruhigen möchte („Schhhhh… Nicht weinen… Alles gut…“). Wenn ich heute an diesen Moment denke, kommen mir die Tränen, aber in dem Moment selber war ich einfach nur unendlich erleichtert. Gerne wäre ich auch gerührt gewesen, aber Erleichterung ist auch ein verdammt gutes Gefühl 😉 . Carsten fragte am Anfang ganz nervös: „Atmet sie?“, aber ich fand: „Ja klar, sie bewegt sich doch“ – und ich wusste auch von Anfang an, das alles in Ordnung ist.
Da saß ich nun, immer noch in meinem rosa Bademantel, auf einer Einwegunterlage in einer riesigen Pfütze mit meinem Baby auf dem Arm und mit der Nabelschnur, die noch aus mir herausragte und uns beide noch verband und war sooo froh und erleichtert. Wir offenbarten nun auch endlich den Namen und beide Hebammen fanden, dass er genau passen würde. Außerdem sagte Jule mehrfach „Boah, bist Du hübsch!“, aber ich glaube, das war eine Hebammenlüge 😉 , denn hübsch sah Luise direkt nach der Geburt nun wirklich nicht aus – das konnten nicht mal Carsten und ich als Eltern behaupten. Riesig groß und schwer mit zusammengekniffenen Augen und Pausbacken und einem roten Gesicht. Am nächsten oder übernächsten Tag wurde sie dann doch sehr niedlich, aber gleich nach der Geburt war das nicht der Fall. Aber vielleicht müssen Hebammen sowas sagen 😉 .

Die Nabelschnur pulsierte noch und Jule ließ uns mal fühlen. Ein komisches, zähes dickes Ding war das, und es war erstaunlich, wie deutlich man das Pulsieren spüren konnte.
Während wir noch so da saßen, machte Luise ihr erstes großes Geschäft geradewegs auf mich drauf – genauer gesagt auf mein Bein und den rosafarbenen Geburtsbademantel. Wir lachten.

Kurz darauf war die Nabelschnur auspulsiert und konnte abgeklemmt und durchtrennt werden. Bei Liliths Geburt war es Carsten irgendwie merkwürdig erschienen, die Nabelschnur durchzuschneiden, so dass ich das selbst getan hatte. Darüber war ich damals ganz froh, weil ich mich über diese Erfahrung freute. Diesmal hatte Carsten es sich offengehalten und wollte dann spontan doch, was ich schön fand, denn so konnten wir beide jeweils einmal diese (wie ich finde) sehr bedeutsame Handlung vollziehen. Vorher wünschten wir uns alle etwas für das neugeborene Menschlein – aber was, das darf man natürlich nicht verraten…
Dann zogen wir mitsamt einer Unterlage auf das Bett um, um zum ersten Mal zu dritt zu kuscheln.

Mir standen allerdings noch zwei Unannehmlichkeiten bevor: Die Geburt der Plazenta und das Nähen meines Dammrisses.
Bei Liliths Geburt hatte sich die Plazenta nicht innerhalb einer Stunde gelöst (trotz Akupunkturnadeln im Bauch und trotz Oxytocinspritze), so dass ich mit dem Rettungswagen ins Franziskushospital gebracht wurde, wo die störrische Plazenta unter Vollnarkose hinausgezogen wurde. Das war ein eher unschönes Ereignis, das ich nicht gerne wiederholen wollte.
Für diese Geburt hatten wir daher mit den Hebammen abgesprochen, dass ich recht schnell Oxytocin intravenös gespritzt bekommen sollte, damit die Zeit dann gar nicht erst knapp werden würde. Erstaunlicherweise wusste ich diesmal aber trotz der Erfahrung vom letzten Mal gleich nach der Geburt, dass mit der Plazenta alles klappen und dass überhaupt alles gut werden würde. Bei Liliths Geburt war ich, nachdem sie geboren war, noch überhaupt nicht sonderlich erleichtert gewesen und konnte mich gar nicht entspannen, weil ich immer dachte „Oh nein, die Plazenta muss noch raus“ – und das, obwohl es im Vorfeld ja gar keinen Grund zu der Annahme gegeben hatte, dass es problematisch werden könnte. Und diesmal war es genau andersrum, obwohl man annehmen konnte, dass es Probleme geben würde. Komisch irgendwie. Aber ich wusste es beide Male irgendwie instinktiv.
Also bekam ich nun einen Zugang in den Handrücken gelegt und dadurch das Oxytocin gespritzt. Jule positionierte sich an der Nabelschnur und ich sollte direkt pressen. Ich spürte zwar noch keinen wahnsinnigen Drang dazu – und ehrlich gesagt war nach den gerade erst überstandenen Geburtsstrapazen auch so ungefähr das Letzte, worauf ich Lust hatte, wieder pressen zu müssen – aber diesmal hatte ich mir vorgenommen, auch bei der Plazenta noch mal zu pressen und zu pressen und zu pressen wie verrückt und das blöde Ding irgendwie da raus zu befördern. Also tat ich genau das. Es ging auch gar nicht so einfach – ich musste tatsächlich nochmal genauso heftig pressen und schieben wie bei der Geburt, und gefühlt war es ein ziemlich großes Etwas, das sich langsam nach draußen bewegte, während Jule leicht an der Nabelschnur zog. Endlich. Geschafft. Puh. Jetzt war ich WIRKLICH erleichtert, denn jetzt hatte ich selbst tatsächlich alles hinter mich gebracht, was ich aktiv bei dieser Geburt tun musste.
Carsten bekam in dieser Zeit endlich sein kleines Töchterchen auf die Brust gelegt und war glaube ich sehr glücklich.

Edith zeigte uns die Plazenta – wegen der Vollnarkose hatten wir sie ja beim letzten Mal nicht zu Gesicht bekommen. Ehrlich gesagt fand ich sie ziemlich widerlich. Ich hatte mit einem relativ festen Fladen gerechnet, aber sie sah total weich und wabbelig aus und war von ekeligen Häuten überzogen – irgendwie erinnerte sie mich an eine riesige Qualle. Es ist mir ein Rätsel, wie es manche Menschen über sich bringen, so etwas zu essen. Bäh.
Ich war schon froh genug, dass Edith es für uns übernahm, ein kleines Stückchen zur Anfertigung der Plazenta-Nosoden zu entnehmen; das hätte mich sehr große Überwindung gekostet.

Jule hatte vorher schon angekündigt, dass der Dammriss nicht so groß wäre (zwar zweiten Grades, aber wohl nicht so dramatisch), so dass sie ihn selbst nähen könnte und ich auch dafür nicht ins Krankenhaus müsste. Ein Glück! Also ließ ich das nun auch noch über mich ergehen. Sie betäubte den Bereich (soweit möglich) mit einem Spray – das leider aber an sich schon brannte wie verrückt. Das Nähen merkte man leider trotzdem noch, aber zum Glück konnte sie das Ganze mit vier Stichen erledigen. An einer Stelle zuckte ich aber sehr zusammen, weil sie dort nicht hatte betäuben können. Aaah! Eine lange Nadel, die einem an SO einer Stelle ins Fleisch gestochen wird, und dann noch ein langer Faden, der dort durchgezogen wird: AUA! Trotzdem war das NICHTS im Vergleich zur Geburt. Außerdem wusste ich ja, dass es gleich vorbei ist, und insgesamt war ich einfach so froh und erleichtert und gut gelaunt, dass ich das Nähen jetzt auch noch ganz entspannt überstand. Und nach zehn Minuten war es auch schon vorbei.

Währenddessen wog und maß Edith unser neues Familienmitglied. Wir alle waren super gespannt, wie groß und wie schwer sie war. 58 cm! 4.600 g (die Waage zeigte 4.620 g an und Edith zog 20 g für den Stoff der Waage ab). Und ein Kopfumfang von 36 cm. „Boah!“ „Krass!“ „Das ist ja heftig!“ hörte man es von allen Seiten. Die war ja NOCH schwerer als geschätzt. Ich war irgendwie ein kleines bisschen stolz, so ein großes und schweres Kind geboren zu haben – und das ohne Kaiserschnitt, ohne PDA, ohne Medikamente, ohne Saugglocke, Zange, Dammschnitt, Kristellern und weitere Eingriffe und Hilfsmittel. Jule meinte später, schon bei dem geschätzten Gewicht hätte man im Krankenhaus auf jeden Fall standardmäßig einen Dammschnitt gemacht (wenn man mich nicht sowieso zu einem Kaiserschnitt gedrängt hätte). Und wie sich gezeigt hat: Völlig unnötig. Da sieht man mal, dass die Natur auch ohne all diese vermeintlich erforderlichen Maßnahmen ganz gut funktioniert… Ich bin jedenfalls sehr froh, mein Kind im Geburtshaus bekommen zu haben.

Luise ging es wunderbar; bei der U1 war alles in Ordnung. Wir scherzten weiterhin über Größe und Gewicht und als ich meinte, ich hätte es bei der Geburt unglaublich gefunden, dass da immer noch mehr und mehr und mehr Kind gekommen sei, bestätigte Jule lachend: „Ja, wie bei der Geburt eines Fohlens!“
Der erste Stillversuch war nur so mittelmäßig erfolgreich, aber ich war schon auf Anlaufschwierigkeiten vorbereitet und hatte ein Stillhütchen dabei, mit dem es auch klappte. Zwar kam noch kaum Milch (das sieht man in dem Hütchen ja ganz gut), aber ganz am Anfang haben Neugeborene ja auch noch einen minikleinen Magen und trinken nur ganz geringe Mengen. Also waren alle zufrieden (naja, ich selbst nicht ganz so, aber ich sagte mir, dass nachher sicher mehr kommen würde).

Danach ließen die beiden Hebammen uns alleine, damit wir zu dritt auf dem großen Bett kuscheln und uns kennenlernen konnten. Außerdem brachten sie uns Frühstück (Toast mit Wurst, Käse und Marmelade, Obst und Gurken) zur Stärkung – und gleich darauf noch mal einen Nachschlag, weil wir solchen Hunger hatten. Das war echt toll, dort ganz in Ruhe zu liegen und einfach das Glücksgefühl zu genießen. Auch wenn mich die Hebammen nicht dabei gestört hätten.
Dann riefen wir beide unsere Eltern an, um ihnen die frohe Botschaft zu verkünden und kurz über alles zu berichten. In dem Zusammenhang: Der einzige Moment, an dem ich ein bisschen sauer auf Carsten war, war der, als er mitten in der Geburt auf gezielte Nachfrage zugeben musste, dass er entgegen meiner ausdrücklichen Anweisung schon wieder (beim letzten Mal auch, und da hatte ich auch schon geschimpft) meiner Mutter eine SMS geschickt hatte, als wir im Geburtshaus ankamen. Das war meiner Meinung nach TOTAL überflüssig; schließlich hätte es voll und ganz gereicht, sie zu verständigen, als das Kind da war. Außerdem setzte es MICH unter Druck, schnell fertig zu werden, weil ich ja nun wusste, dass jemand genau darauf wartete. Total unnötig und nicht zur Nachahmung empfohlen!
Aber nun konnte ich meinen Eltern berichten, dass alles gut gelaufen war und es uns allen gut ging. Und nebenbei: Die SMS hatten sie noch gar nicht gesehen, weil Carsten sie versehentlich nicht an meine Mutter, sondern an meinen Vater geschickt hatte, und der hatte sein Handy nicht im Blick.

Um kurz nach acht kamen die Hebammen wieder und hatten auch Meike im Schlepptau, die uns gratulieren und das neugeborene Menschlein sehen wollte. Das fand ich sehr nett.
Wir sollten uns nun langsam fertig machen, weil etwa drei bis vier Stunden nach dem Hormonhoch der Geburt der Kreislauf wieder runterfährt und es besser ist, wenn man dann schon zu Hause ist. Ich stand vorsichtig auf, um zu testen, wie mein Kreislauf reagieren würde. Alles in Ordnung. Wir waren alle sehr positiv überrascht, wie gut es mir schon wieder ging. Ich konnte alleine ins Bad gehen und auch alleine duschen. Nachdem ich jetzt zwei Stunden lang in einer kleinen Blutlache gelegen hatte (man blutet nach der Geburt ganz schön heftig), war das echt eine Wohltat! Ich durfte mir eins von zwei Duschgelen von Weleda aussuchen: Wildrose oder Calendula. Da ich in Wildrose den schlimmen Badezusatz vermutete, der mir während der Geburt fast Übelkeit verursacht hatte, wählte ich Calendula – und stellte fest, dass es genau der Duft der Calendulacreme war, die wir Lilith immer auf den Popo schmieren 😉 . Naja, es gibt Schlimmeres. Nach der Dusche (und nachdem ich versucht hatte, die tollen Pip Studio-Handtücher möglichst sauber zu lassen) guckte ich zum ersten Mal in den Spiegel und musste fast lachen, weil ich sooo grauenhaft aussah. Total verschmierte Schminke, wirre Haare und völlig fertig. Naja, immerhin hatte ich keine geplatzten Äderchen vom Pressen, das war ja auch schon was wert. Nur einen roten Beißabdruck unter der Unterlippe…

Nachdem der stolze Carsten die Tafel vor dem Geburtshauseingang, auf dem nun unsere Luise stand, fotografiert hatte, suchte er deren erste Garderobe aus der Tasche – die prompt zu klein war. Luises erstes Outfit hatten wir schon im April, als wir noch nicht wissen konnten, wie groß sie werden würde, in Holland gekauft. Ansonsten hatten wir ja noch alle Klamotten von Lilith; aber Luise sollte zumindest auch ein bisschen was Eigenes haben, und das hatten wir daher auch in die Geburtstasche gepackt. Tja, da musste eben ein bisschen an den Knöpfen gezerrt werden 😉 . Zu Hause stellten wir dann aber fest, dass Größe 56 eigentlich doch ganz gut passt.
Ich selbst zog mir noch Schwangerschaftsklamotten an – direkt nach der Geburt war mein Bauch zwar natürlich schon viel kleiner als vorher, aber immer noch echt gewaltig. Aber das kannte ich schon vom letzten Mal.

Als wir um kurz vor neun das Geburtshaus verließen, war ich umso froher, dass ich die Geburt schon hinter mir hatte: Nun kamen nämlich massenhaft Pärchen zu einem Wochenend-Geburtsvorbereitungskurs. Wenn diese ganzen Leute während der Geburt schon dagewesen wären, hätte mich das bestimmt gehemmt (auch wenn der Kursraum eigentlich nicht in der Nähe des Geburtsraumes liegt). Nun guckten alle ganz neugierig, als wir unsere frisch geschlüpfte Luise stolz im Maxi Cosi aus dem Geburtshaus trugen. Und ich dachte nur: „Oh Mann, Ihr habt das alle noch vor Euch. Ihr Armen!“
Wir stiegen gerade ins Auto, da kam die vierte Geburtshaushebamme Sabine, die heute den Vorbereitungskurs leitete und auch unseren Kurs bei Lilith geleitet hatte, noch schnell angerannt, um uns in den Arm zu nehmen und uns zu gratulieren. Das war echt süß; somit hatten uns dann auch alle vier Hebammen gratuliert und wir freuten uns mal wieder, wie herzlich dort alle sind.

Auf der kurzen Fahrt nach Hause konnte ich es kaum fassen, wie gut alles gelaufen war und dass wir jetzt, um kurz vor neun, schon wieder nach Hause fuhren. Und zwar zu dritt! Bei strahlendem Sonnenschein hatte ich die beste Laune der Welt. Die hätte ich allerdings auch bei Nebel und Regen gehabt!
Zu Hause machten wir jeder ein Foto mit Luise vor unserem Hauseingang. Wenn ich mir die Fotos jetzt so ansehe, sehen wir zwar völlig fertig, dafür aber sehr glücklich aus.

Und dann ging es in unser „privates Familienzimmer“. Statt im Krankenhaus unter lauter fremden Menschen nicht so wirklich für sich zu sein und sich so nicht richtig entspannen und ankommen zu können, war es nun zu Hause einfach perfekt. Wir hatten eine unglaublich heitere und entspannte Atmosphäre und konnten uns von Anfang an einfach nur auf Luise und auf uns konzentrieren. Mittags kam Jule, um nach uns zu sehen. Nachmittags kamen meine Eltern und meine Schwester und brachten Lilith mit, die nun eine stolze große Schwester war. Anfangs hatte sie noch ein bisschen Berührungsangst, aber nun ist sie einfach nur stolz und lieb und bringt Luise, wenn diese weint, das, was man in ihrer zweijährigen Welt in solchen Situationen braucht: einen Teddy und einen Schnuller.

Das Wochenbett zu Hause lief hervorragend; wir wurden (und werden noch) von den Hebammen bestens betreut – obwohl wir kaum Betreuung brauchten, weil wirklich von Anfang an alles in Ordnung war. Das Einzige, was in den ersten beiden Tagen seltsamerweise nicht gut klappte, war das Stillen – es kam schlicht und einfach keine Milch (auch kein Kolostrum. Wirklich null Milliliter – man sieht ja im Stillhütchen, ob es von innen feucht ist), obwohl ich doch vor nicht allzu langer Zeit elf Monate lang gestillt hatte. Seltsam. In unserer Not – und weil Luise wirklich vor Hunger brüllte wie am Spieß, gaben wir ihr ein Fläschchen. Dafür bekamen wir zwar von Jule zu hören, das sei nun wirklich völlig falsch gewesen, aber obwohl ich ein bisschen zerknirscht war, hätte ich es wieder so gemacht, weil ich mir dachte, so ganz ohne Essen und Trinken kann es nicht mal ein ganz kleines Neugeborenes aushalten. Am dritten oder vierten Tag war die Milch dann plötzlich da und seitdem läuft alles bestens.
Luise geht es gut, sie ist ein sehr entspanntes und ausgeglichenes Baby, das uns nachts meistens fünf bis sechs Stunden am Stück schlafen lässt – und in Glücksnächten sogar sieben. Meine Rückbildung verläuft bestens; schon am zweiten Tag bin ich alleine zur Apotheke gelaufen. Die ist zwar nur ein paarhundert Meter von unserem Haus entfernt, aber an sowas wäre nach Liliths Geburt gar nicht zu denken gewesen! Damals bin ich noch nach mehreren Tagen gebückt gegangen wie eine uralte Frau und konnte mich gar nicht richtig aufrichten.
Eine Krankenhausbetreuung habe ich zu keinem Zeitpunkt vermisst. Die Hebammen kamen zu uns nach Hause und der Kinderarzt machte zur U2 ebenfalls einen Hausbesuch. Essen hatten wir genügend eingekauft und ich hatte auch vorgekocht; am zweiten Tag haben wir Pizza bestellt und gemütlich im Bett gegessen. Alles, was spontan zu erledigen war (was echt nicht viel war – z.B. alkoholfreies Weizen zur Milchanregung kaufen – das hätte man theoretisch aber auch vorher machen können), hat Carsten erledigt, der glücklicherweise Urlaub hatte.
Das Glücksgefühl der ersten Tagen, als wir einfach nur ohne Störung von außen mit Luise Josephine zusammen „ankommen“ konnten, werde ich nie vergessen.
Ich würde es immer wieder so machen.

Jetzt ist Luise schon einen Monat alt und lacht uns an. Wir sind überglücklich, zwei süße gesunde Mädchen zu haben und damit komplett zu sein.
Und ich bin dankbar dafür, dass ich nach der wirklich unangenehmen Schwangerschaft eine trotz aller Schmerzen problemlose Geburt mit gutem Ausgang erleben durfte. Dafür danke ich Carsten, der mir ganz toll beigestanden, mir durch seine bloße Anwesenheit Sicherheit vermittelt und mich während der Presswehen perfekt aufgefangen hat, und natürlich den Hebammen Jule und Edith, die mich in den richtigen Momenten in Ruhe gelassen und in den anderen richtigen Momenten wiederum perfekt unterstützt haben.

 

 

Die Geburt aus Carstens Sicht

In guter Tradition (wie bei unserer ersten Tochter Lilith) wieder einmal ein Geburtsbericht aus männlicher Sicht:

Wir waren bereits im weiteren Vorfeld der Geburt damit befasst, uns gedanklich auf die Geburt einzustimmen. Zwar hatten wir diesmal darauf verzichtet, einen Geburtsvorbereitungskurs, o.ä. zu machen (wir waren ja schon „alte Hasen“ – schließlich hatten wir ja schon ein Kind …). Trotzdem rechneten wir damit, dass unsere zweite Tochter Luise – möglicherweise deutlich – früher als zum prognostizierten Geburtstermin kommt. Der Geburtstermin ist ursprünglich auf den 11.05.2014 festgelegt worden, wurde aber später noch mal auf den 16.05.2014 korrigiert. Insgeheim fußten unsere Berechnungen aber immer auf dem 11.05.2014 als Geburtstermin. Das lag vor allem daran, dass unsere Luise (von der wir damals noch gar nicht wussten, dass sie so heißen wird) bei den Ultraschalluntersuchungen durchgängig als sehr groß und schwer geschätzt wurde (oder wie Lilith, die gerade mit dem Sprechen anfing, sagen würde: „Baby doß (groß) und dick“). Deswegen hatten wir uns bereits ab Ostern, also ab Mitte April 2014, darauf eingestellt, dass es losgehen könnte. Da wurde Luise bereits auf ca. 51 cm und ca. 3.100 g geschätzt (eigentlich schon normale Geburtsmaße also).
Wir hatten die Schwiegereltern, die Schwester von Kathrin, meine Eltern und eine Freundin von Kathrin „gebucht“, damit diese notfalls Lilith übernehmen können, wenn es losgeht. Da die Schwiegereltern zwischendurch unvorsichtigerweise auch noch in Urlaub geflogen sind und zudem die Schwester teilweise zeitgleich im Urlaub war, sind sogar höchst vorsorglich meine Eltern um Ostern herum extra bei uns mehrere Tage zu Besuch gekommen. Mein Vater musste damit quasi zwangsweise seinen Geburtstag bei uns feiern. Netter Nebeneffekt: Da wir bald anfangen zu bauen und ich mein Haus zeitnah im Anschluss an die Geburt verkaufen wollte, hatten er und ich gemeinsam Gelegenheit, noch kleinere Dinge im Haus zu erledigen (Dachboden aufräumen, etc.).
Natürlich – Murphys Gesetz – passierte in der Zeit rein gar nichts, nicht mal Übungswehen, allenfalls ein paar Senkwehen. Die taten Kathrin aber auch schon ganz gut, weil der Bauch (dickes Kind – dicker Bauch) wirklich obszön groß war. Fast schon wie in einem Comic; der Bauch sah aus wie angeklebt. Ansonsten sah Kathrin ganz normal aus; von hinten sah sie überhaupt nicht schwanger aus. Immer wenn ich Kathrins Bauch gesehen habe, musste ich fast lachen, weil er so so so unglaublich groß war, und zwar schon Wochen vor dem Entbindungstermin. Wir dachten immer: Der kann doch nicht noch größer werden. Aber: Er konnte!
Irgendwann kam dann der 11.05.2014 – also der Geburtstermin. Es war ein Sonntag und es passierte: Nichts! Da wir aber davon ausgingen, dass es – wie bei Lilith – dann zumindest innerhalb der nächsten Tage losgehen wird, dachten wir uns, dass wir ja schon einmal die Verkaufsanzeige für unser Haus online stellen könnten. Sie wurde am 11.05.2014 um 22.00 Uhr online sichtbar und am nächsten Nachmittag hatten wir schon ca. 80 Anfragen für Besichtigungstermine. Da wir nach wie vor davon ausgingen, dass das Kind schon bald kommen würde, haben wir ab dem 31.05.2014 Besichtigungstermine vereinbart; das erschien mehr als ausreichend weit weg. Dann hätten wir immer noch ca. zwei Wochen für uns mit dem neuen Baby gehabt – dachten wir.
Die Tage vergingen. Ich ging normal zur Arbeit, weil ich meine Urlaubstage aufsparen wollte. Die Kollegen lachten schon, wenn sie mich sahen und fragten: „Was machst Du denn noch hier? Nicht Zu Hause bei Frau und neuem Kind?“
Ansonsten brachte ich weiter das Haus auf Hochglanz. So gesehen kam es mir ehrlich gesagt gar nicht so ungelegen, dass sich Luise noch ein paar Tage Zeit ließ. Zwischendurch bat ich um abendlichen Dispens für unverzichtbare Fußballspiele (Champions League-Halbfinale Bayern München-Real Madrid und Darmstadt 98- Arminia Bielefeld), die ich gemeinsam mit Kumpels schauen wollte. Der geneigte Leser wird damit bereits festgestellt haben, dass sich die Sache zog und zog (schließlich fand das Spiel Darmstadt 98- Arminia Bielefeld erst am 16.05.2014 statt). Ich verzichtete auch darauf, mir das sagenumwobene Rückspiel von Arminia Bielefeld gegen Darmstadt 98 am 19.05.2014 auf der Alm anzusehen, da wir Sorge hatten, dass es ausgerechnet dann losgeht. Um es vorweg zu nehmen: Auch das wäre überhaupt kein Problem gewesen …
Kathrin wurde aber langsam unruhig. Es war ja auch nicht wirklich lustig, bei Temperaturen von teilweise um die 30 Grad mit dem dicken Bauch durch die Gegend zu laufen, zumal sie kreislaufbedingt auch noch Thrombosestrümpfe tragen musste.
Sie ging noch mal zur Osteopathin, die tatsächlich auch noch eine Blockade gelöst hat. Und wir dachten: Jetzt geht’s bestimmt los. Es kamen auch ein paar Wehen. Aber letztlich: Nein, doch wieder nichts.
Irgendwann war es dann soweit, dass wir tatsächlich den ursprünglich als völlig abwegig angesehenen Gedanken einer Einleitung im Krankenhaus als nicht mehr vollkommen unrealistische Option ansehen mussten. Darauf hatten wir aber beide überhaupt keine Lust, insbesondere nach unseren Erfahrungen vom letzten Mal. Auch die ab dem 31.05.2014 vereinbarten Besichtigungstermine rückten inzwischen bedrohlich nahe, so dass sogar überlegten, die ganzen Termine noch mal alle zu verschieben.
Unsere Hebamme Jule riet uns, mit einem Rizinus-Cocktail ein wenig nachzuhelfen. Kathrin holte sich das Rizinus-Öl am Freitag, 23.05.2014, aus dem Geburtshaus ab und besorgte noch die weiteren Zutaten (insbesondere Aprikosensaft zum Überdecken des Rizinus-Geschmacks). Wir sollten aber noch bis Samstag Nachmittag warten, bis Kathrin den Cocktail nimmt. Das fand Kathrin auch nicht so schlimm, weil am 24.05.2014 ihre Patentante Geburtstag hat und so ein Doppelgeburtstag nun auch nicht jedermanns Sache ist.
Wir verabredeten mit den Schwiegereltern, dass sie Lilith am Samstag Nachmittag abholen und erstmal mitnehmen. Lilith war zu allem Überfluss auch noch total erkältet (sie musste am Montag danach sogar noch mit Oma und Opa zum Arzt). Die Schwiegereltern sind sogar extra wegen uns früher von einem Geburtstag eines Nachbarn verschwunden, um uns Lilith abzunehmen. Wir waren dann jedenfalls ab ca. 17.00 Uhr unter uns und Kathrin nahm die erste von drei Portionen des Cocktails. Das war schon etwas komisch und aufregend, weil wir nicht wussten, was jetzt passiert. Ich dachte mir jedenfalls: Wenn ich Rizinus-Öl trinke, könnte mir schon ganz schön schlecht werden. Ich habe daher vorsorglich schon mal die Tür zur Toilette aufgemacht und den Toilettensitz hochgemacht, damit Kathrin sofort loslegen kann, wenn sie sich übergeben muss. Kathrin würgte das Zeug dann runter und wir warteten gespannt, was passiert. Und es passierte: Nichts! Irgendwann riefen wir Jule an und fragten, wie wir weitermachen sollen. Sie sagte uns, dass Kathrin in ca. zwei Stunden den zweiten Teil des Cocktails trinken soll und wir danach spazieren gehen sollen. Wir bestellten uns dann zum Abendessen eine Pizza. Vorher habe ich mir noch schnell ein neues Smartphone im Internet bestellt, da ich mein altes Handy durch eine Vielzahl von Software-Operationen komplett zerstört habe, sehr ärgerlich, vor allem, weil mein altes Ersatz-Smartphone keine so gute Kamera hat. Und ich hatte ja den klaren Auftrag von Kathrin, diesmal auf jeden Fall während der Geburt Fotos zu machen, egal wie schlecht es ihr geht und wie schlimm die Schmerzen sind; das hatten wir beim ersten Mal nämlich total vergessen und fanden das im Nachhinein ein wenig schade.
Nach dem Abendessen legten wir und noch ein bisschen hin und sind dann aber irgendwann los spazieren gehen. Als wir wieder zu Hause waren, fiel mir ein, dass ja das Endspiel der Champions League ist und ich sah, wie Real Madrid zunächst in der letzte Minute der regulären Spielzeit den 1:1-Ausgleich schoss und in der Verlängerung zunächst mit 2:1 in Führung ging. Dann beschlossen Kathrin und ich aber, noch schnell die Wochen-Bauch-Fotos zu machen (bevor es zu spät ist, man weiß ja nie …). Wir haben jede Woche Kathrins Bauch von allen Seiten mit der jeweiligen Wochennummer im Hintergrund fotografiert. Wir haben dann also schnell die Fotos mit der Nummer 42 (!) gemacht, von der ich damals beim Ausdrucken dachte: Na gut, die brauchst du zwar eh nicht, aber besser ist besser. Das letzte Foto haben wir am 24.05.2014 um 23.18 Uhr gemacht (in der Zwischenzeit hatte Real Madrid übrigens 4:1 gewonnen). An die Wirkung des Rizinus-Cocktails hatten wir inzwischen ein wenig den Glauben verloren, weil wirklich rein gar nichts passierte. Wir haben uns aber – im Nachhinein: Gott sei Dank – an Jules Rat gehalten, uns den dritten Teil des Cocktails für den nächsten Morgen aufzuheben. Der ursprüngliche Plan war nämlich, den dritten Teil ca. zwei Stunden nach dem zweiten Teil des Cocktails zu nehmen.
Dann gingen wir ins Bett und machten kurz nach Mitternacht das Licht aus. Ich merkte dann, dass Kathrin irgendwann mal zur Toilette musste. Das muss so gegen 0.30 Uhr gewesen sein; das Rizinus-Öl hatte sich offenbar endlich entschlossen, Kathrins Körper zu einer Reaktion zu zwingen, wenngleich Wehen (noch) nicht dazu gehörten. Um 2.20 Uhr war es dann aber soweit: Wehen! Und was für welche. Ich hatte direkt ein Déjà-vu, weil Kathrin sich schmerzgeplagt stehend an der Fensterbank im Schlafzimmer festhielt. Nur dass sie diesmal nicht so schrie, was aber ausschließlich an ihrer Willenskraft und nicht an weniger starken Schmerzen lag. Die Wehen waren noch schneller und mindestens genau so heftig wie beim ersten Mal. Ich versuchte, die Abstände zu messen, das war aber teils gar nicht möglich, weil die Wehen ohne nennenswerte Pause direkt hintereinander kamen. Einmal kamen 3 Wehen innerhalb von 2 Minuten. Wir dachten uns so gegen 3.15 Uhr: Besser mal Jule anrufen. Ich rief dann an und hatte Jule nach drei- oder viermal Klingeln dran. An ihrer Reaktion merkte man, dass ich sie so richtig schön aus der tiefsten Tiefschlafphase geholt habe. Trotzdem war sie dann sofort voll da und ließ sich nur einen kurzen Lagebericht geben, um sich dann auf den Weg zu machen. Sie war dann sehr schnell, so gegen 3.40 Uhr da und hatte schon Edith, der zweiten Hebamme, Bescheid gesagt, dass wir wohl gleich ins Geburtshaus fahren. Kathrin eröffnete ihr zur Begrüßung, dass sie sofort ins Krankenhaus und eine PDA will, wenn sich der Muttermund noch nicht wesentlich geöffnet haben sollte. Die Schmerzen waren nämlich wirklich schlimm. In dem Moment wirkte sogar Jule, die ja sonst immer mit einer beeindruckenden Gelassenheit und Fröhlichkeit agiert, einen kurzen Moment konsterniert und sprachlos, als würde ihr durch den Kopf gehen: „Hhmmm, das meint die tatsächlich ernst.“ Dann ging es aber schnell weiter: Jule hat untersucht. Alles klar, Muttermund 7-8 cm offen. Ab ins Geburtshaus!
Nun kam es mir zu Gute, dass ich manchmal aus meinen Fehlern lerne: Anders als bei Lilith fing ich jetzt nicht hektisch an, meine Badehose (die ich sowieso beide Male nicht brauchte) zu suchen. Die hatte ich nämlich schon vor Wochen (gefühlt: Monaten) in unsere Geburtstasche gepackt. Sogar ein Handyladekabel hatte ich dort deponiert (Handyfotos!). Nur meine Hausschuhe/Badelatschen musste ich noch schnell einpacken und dann konnte es losgehen. Ich fuhr also wieder den Wagen so vor, dass Kathrin den kürzesten Weg hat. Dabei wunderte ich mich noch, dass ich diesmal kein Gebrüll hörte, Kathrin riss sich also nach wie vor wahnsinnig zusammen. Nach dem Motto „bekannt und bewährt“ kniete sich Kathrin auf den Beifahrersitz mit dem Kopf nach hinten und umklammerte den Kopfstütze. Wir fuhren los und kamen auch gut durch. Ich vermied einen weiteren Fehler vom letzten Mal, indem ich diesmal nicht an den Kreuzung Stapenhorststr./Kurt-Schumacher-Str. (direkt vor der Polizei!) die rote Ampel beachtete. Ich musste nur anhalten, weil tatsächlich auf der Stapenhorststr. zwei Autos fuhren, die ich zunächst durchlassen musste. Dies sagte ich Kathrin vorsichtshalber auch, was auch gut war, da Kathrin gerade Luft holte, um mir einen Anpfiff zu verpassen, weil ich – schon wieder – unzulässigerweise rote Ampeln beachte.
Im Geburtshaus angekommen, geleitete ich Kathrin nach innen. Edith und Jule waren schon da und waren mit Vorbereitungen beschäftigt. Kathrin wollte schnell in die Wanne und äußerte recht unverhohlen gegenüber der armen Edith ihren Unmut, dass die Wanne noch nicht voll und einsatzfähig war. Das ging dann aber recht schnell, so dass sich Kathrin in der Wanne ein wenig Linderung verschaffen konnte. Ich schleppte derweil unserer leichtes Handgepäck ins Geburtshaus, so dass Jule mich wie beim ersten Mal fragte, was wie denn alles noch vorhätten, einziehen könnten wir hier jedenfalls nicht … Dabei hatten wir aus unserer Sicht nur das absolut Nötigste dabei – wir sind halt gerne vorbereitet.
Ich machte weisungsgemäß mal schnell ein paar Fotos von Kathrin. Eines an die Türzarge gelehnt mit Edith, die Herztöne abhört. Kathrin in der Badewanne, wieder mit Edith, die die Herztöne abhört. Luise fand das alles offensichtlich überhaupt nicht aufregend, die Herztöne waren so normal wie immer.
Ich bekam dann von Jule einen Kaffee und setzte mich auf meinen Stammplatz, den Korbsessel neben dem kleinen Sekretär im hinteren Geburtszimmer. Es war alles wie letztes Mal. Ich saß dort rum und unterhielt mich mit Jule und Edith. Kathrin lag in der Badewanne und kämpfte mit den schmerzhaften Wehen, wollte aber niemanden sehen. Jule und Edith schauten zwischendurch bei Kathrin vorbei und hörten die Herztöne ab; dann wurden sie wieder weggeschickt. Luise war immer noch ganz entspannt. Ich machte zwischendurch ein paar Fotos, kam mir dabei aber ein bisschen blöd vor, meine Ehefrau bei ihren Qualen auch noch zu fotografieren, anstatt ihr auf sinnvollere Weise beizustehen (Gott sei Dank muss ich meinen Lebensunterhalt nicht als Paparazzo verdienen).
Außerdem schickte ich – in Absprache mit der Schwiegermutter und zugegebenermaßen entgegen der Weisung von Kathrin – eine SMS an die Schwiegereltern, dass wir im Geburtshaus sind und alles gut ist. Leider schickte ich die SMS nicht an die Schwiegermutter, sondern an den Schwiegervater, der davon natürlich nichts mitbekam und die SMS erst am nächsten Vormittag gelesen hat, als Luise schon auf der Welt war.
Irgendwann – es muss so zwischen 4.30 und 5.00 Uhr gewesen sein – machte Jule die Ansage, dass Kathrin mal aus der Wanne rauskommt und sich seitlich auf das Bett legt, damit sich die nach wie vor vollkommen tiefenentspannte Luise langsam weiter durch den Geburtskanal schiebt. Jule untersuchte Kathrin noch mal und muss dabei offenbar aus Versehen die Fruchtblase ein ganz bisschen angepiekst haben. Diese platzte jedenfalls und Luise schob sich einfach hinterher. Das, was bei Lilith bestimmt 1 ½ Stunden gedauert hatte, ging hier in 1 ½ Minuten vonstatten. Das war auch das Signal für meinen Einsatz. Wie bei Lilith nahm Kathrin die Geburtsposition ein: hockend vor dem Bett, abgestützt auf meinen Oberschenkeln. Kathrin presste aus Leibeskräften und es ging dann einigermaßen zügig voran. Zwischendurch waren die Schmerzen aber so groß und die Belastung so schlimm, dass sie mal eine Wehe „ausließ“, die sie lediglich veratmete ohne zu pressen. Kurz darauf sagte Jule dann: „Ich kann das Köpfchen schon sehen. Boah, hat die viele Haare. Wollt ihr mal sehen?“ Trotz des netten Angebots wollten wir beide nicht …, ist ja schon irgendwie ein bisschen komisch. Ich dachte mir: „Oh, das geht heute aber wirklich schnell, Wahnsinn!“ Jule feuerte Kathrin an, dass sie nur noch zwei oder drei Wehen braucht, dann wäre es geschafft. Kathrin presste noch mal aus mit voller Kraft. Dann sagte Jule: „So, das Köpfchen ist geboren.“ Die nächste Wehe kam dann auch schnell und der Körper von Luise kam schon hinterher. Jule sagte nachher, dass es schon ein wenig seltsam war, weil immer mehr Körper kam, so groß/lang war Luise. Es war vollbracht! Die Uhr zeigte 5.55 Uhr – von der ersten (schlimmen) Wehe bis zur Geburt vergingen also keine 3 ½ Stunden. Ein paar Tränen konnte ich dann doch nicht zurückhalten.
Ich schaute an Katrin vorbei, um einen ersten Blick auf unsere Zweitgeborene zu erhaschen. Ich hatte immer noch ein bisschen Sorge, dass vielleicht doch irgendetwas ist. Ich fragte Jule daher erstmal, ob Luise überhaupt atmet. Jule beruhigte mich und sagte, dass alles in Ordnung ist. Es stellte sich dann im weiteren Verlauf glücklicherweise heraus, dass auch ansonsten alles in Ordnung, also alle Körperteile an der richtigen Stelle und Finger und Zehen in regelkonformer Anzahl.
Kathrin bekam Luise erstmal auf den Arm, noch mit Nabelschnur. Dann gab die bis dahin so entspannte Luise auch das erste nachhaltige Lebenssignal von sich. Sie nahm ihre erste Darmentleerung vor und zwar direkt auf Kathrin und ihren Bademantel.
Wir warteten ab, bis die Nabelschnur auspulsiert war. Und wie die pulsierte, ich habe die Nabelschnur angefasst und dachte mir noch: „Wow, die hat Power!“ Jule fragte dann, wer die Nabelschnur durchschneiden will. Kathrin schaute mich an und ich dachte mir: „Na gut, warum nicht. Diesmal ich.“ Ein komisches Gefühl war das schon, die Verbindung zwischen Luise und Kathrin zu trennen, aber einer muss es ja machen … Dann bekam ich Luise auf meine Brust und war unsagbar glücklich und erleichtert.
Jule trug die Daten der Untersuchung von Luise ein, auch dabei war alles im grünen Bereich. Luise wurde gemessen und gewogen, sie war der erwartet schwere Brocken: 58 cm, 4.600 g, Kopfumfang 36 cm. Ich hatte Sorge, ob der Body in Größe 50 überhaupt passen wird.
Für Kathrin war es leider noch nicht ganz vorbei. Sie musste die Plazenta noch aus ihrem Körper heraus bekommen. Nach den Erfahrungen vom letzten Mal – die Plazenta hat sich nicht gelöst und musste schließlich unter Vollnarkose im Krankenhaus herausgeholt werden – haben wir dies diesmal besonders im Auge gehabt. Jule hat sofort nach der Geburt einen Oxytocin-Tropf gelegt und Kathrin hat erneut gepresst, als würde es um ihr Leben gehen. Erfreulicherweise kam die Plazenta dann aber recht schnell und ersichtlich auch vollständig. Wir konnten das Prachtstück dann noch mal in Augenschein nehmen, bevor Jule einen Teil davon für sog. Plazenta-Nosoden entnommen hat. So eine Plazenta ist dann doch wabbeliger als sich der Laie gemeinhin vorstellt …
Jule hat Kathrin dann untersucht, wobei sie – nicht ganz unerwartet – einen kleinen Riss festgestellt hat. Sie hat uns aber sofort beruhigt und gesagt, dass der Riss so klein ist, dass sie denn hier gerade selbst näht. Nachdem sie das erledigt hatte, war damit die medizinische Seite erledigt. Jule und Edith zogen sich nach vorne zurück, um Unterlagen auszufüllen (und wahrscheinlich um sich zu erholen und was zu essen und zu trinken). Wir überlegten, was wir wohl essen könnten. Pizza am Sonntag um 6.30 Uhr dürfte etwas schwierig werden. Meine Idee zum Bäcker zu fahren wurde auch schnell verworfen. Jule und Edith waren so nett, uns Toast mit Wurst und Marmelade sowie Kaffee zu machen. Wir lagen zu dritt auf dem Bett, haben gefrühstückt und uns miteinander und übereinander gefreut. Irgendwann habe ich meine Eltern angerufen, um die frohe Botschaft zu verkünden. Dann wurde es aber auch schon langsam Zeit, dass wir nach Hause kommen. Kathrins Adrenalinspiegel dürfte irgendwann absacken, dann sollte man besser schon zu Hause sein. Außerdem fand um 9.00 Uhr ein Wochenend-Geburtsvorbereitungskurs statt, bis dahin wollten wir verschwunden sein. Trotzdem liefen uns ein paar von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen mit dickem Bauch in die Arme, wobei ich spontan dachte: „Oh Mann, das haben wir zum Glück jetzt hinter uns.“ Meike kam dann auch runter und hat uns gratuliert. Sabine, die den Kurs leiten sollte, hat uns auch noch in die Arme geschlossen. Da hatten wir das ganze Geburtshaus-Team um uns herum – wie schön!!
Dann haben wir die kleine Luise in ihrem Maxi-Cosi im Auto verstaut und haben uns auf den Weg nach Hause gemacht. Wir waren beide sehr glücklich, da es diesmal genau so war, wie wir es vorgestellt und gewünscht haben: Wir fahren zu zweit hin und kommen ein wenig später zu dritt nach Hause zurück. Die Ausgabe der kostenlosen Sonntagszeitung haben wir als Erinnerungsstück aufgehoben (auch wenn dort fast nur Katastrophenmeldungen drinstanden, Amokläufe und so). Ich war außerdem sehr froh, dass ich vorher Briefwahl gemacht hatte, es war nämlich der Tag der Europawahl und der Oberbürgermeisterwahl in Bielefeld.
Zu Hause haben wir und erstmal ins Bett gelegt, wir waren alle müde und fertig. Luise hat viel geschlafen. Ich konnte irgendwie nicht, weil ich noch zu aufgedreht war. Ich habe dann erstmal bei Facebook das erste Foto von Luise gepostet und allen Leuten per SMS, Mail und WhatsApp die Nachricht verkündet. Später habe ich dann Brötchen geholt und wir haben zur Mittagszeit noch mal gefrühstückt. Am Nachmittag kamen Kathrins Eltern und Kathrins Schwester Wiebke sowie Lilith vorbei, um die kleine Luise in Augenschein zu nehmen; da gab es schon die ersten Geschenke! Lilith war immer noch sehr stark erkältet und hat sich ganz offensichtlich ein wenig schwer getan, die Situation einzuordnen. Sie hat sich Luise nur aus sicherer Entfernung angeschaut und Kathrin mit ganz erstauntem Blick angeschaut, als diese ihr sagte, dass Luise ab jetzt auch hier wohnt …
Inzwischen hat sich das aber vollkommen verändert. Lilith ist ganz ganz lieb zu Luise. Sie rennt immer hin, wenn sie schreit, um ihr wahlweise den Schnuller oder ihren Teddy zu geben (mehr Dinge zum Glücklichsein kann man sich als Zweijährige offenbar gar nicht vorstellen; außer vielleicht „Baby-Ham“ – Spaghetti Bolognese im Gläschen …).
Jedenfalls war alles viel viel entspannter als beim letzten Mal im Krankenhaus. Wir hatten quasi unser eigenes Familienzimmer zu Hause und konnten – Lilith war noch bei den Schwiegereltern – morgens so lange schlafen, wie wir wollten und Luise uns ließ.

Obwohl wir schon eine Geburt mitgemacht haben, war das alles wirklich erneut sehr aufregend. Wir sind sehr glücklich und genießen unsere Zeit zu viert, zumal Kathrin und ich diesmal beide zur Zeit zu Hause sind. Wir würden alles wieder ganz genau so machen.

Vor allem vielen Dank an Jule und Edith, die die Geburt ganz toll begleitet haben – und natürlich an Kathrin, der Liebe meines Lebens, die mir – erneut unter größten Anstrengungen und Schmerzen – unser zweites (und letztes) kleines Goldstück Luise Josephine geschenkt hat.

Luise Josephine und Lilith Carlotta

Ein Kommentar zu “Luise Josephine

  1. Polly schrieb am :

    Konnte mich gerade nicht losreißen von euren Berichten! Tolle Idee aus 2 verschiedenen Perspektiven zu schreiben! Ganz toll formuliert, gedanklich war ich fast mit dabei… 😉 großes Lob an die Mama und natürlich auch den Papa. 2 wunderschöne Mäuse habt ihr da!

    Liebe Grüße
    Polly

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