Nora, 28.3.

Anders als gedacht. oder: wie ich mein erstes Kind bekam (Nora, 28.3.11, SSW39+0)

In einer Nacht von Samstag auf Sonntag vor vier Monaten hatte ich kaum geschlafen, weil ich mich irgendwie komisch fühlte. Ich lag die halbe Nacht wach und nichts geschah!

Am Sonntagabend nach dem Spätkrimi war es dann endlich soweit. Ich hatte einen merkwürdigen Rückenschmerz, eine halbe Stunde später hatte sich ein Teil des Schleimpfropfs gelöst und ich war mir sicher: ich habe Wehen und die gehen auch nicht mehr weg. Aber um sicher zu gehen, dass die Wehen auch bestimmt regelmäßig wiederkommen, blieb ich wach und stoppte die Zeit. Ich hätte vor lauter Aufregung, dass es nun wirklich losgeht, ohnehin kein Auge zubekommen. Wehen alle 8 bis 10 Minuten, wie ich fand, durchaus als solche erkennbar.

So verging die Zeit von Mitternacht bis drei Uhr, dann ging ich mal in die Badewanne und fand das sehr entspannend. Und mein Mann, den ich um zwei Uhr geweckt hatte, damit ich nicht so allein bin mit all meiner Aufregung, brachte mir Tee und passte auf mich auf.

Raus aus der Wanne gegen halb vier, durch die Wohnung gehen, mildes Tönen… Nochmal in die Wanne, da war es irgendwie doch angenehmer. Um 4 Uhr 50 habe ich dann die Hebamme angerufen und ihr erzählt, wie die bisherige Nacht verlaufen war. Lisa fand, ich klänge aber noch ziemlich entspannt und vermutlich wäre da noch nicht viel passiert. Große Enttäuschung, hatte ich doch nach meinem Empfinden schon fünf Stunden „gearbeitet“. Ich sollte mich wieder melden, wenn ich während der Wehen nicht mehr so locker reden bzw. atmen könnte.

Wie ein Startsignal veränderten sich die Wehen nach diesem Telefonat spürbar. „Wadenkrampf im Bauch“, wie es im Vorbereitungskurs hieß, trifft es tatsächlich ganz gut. Während der Wehen, die inzwischen alle vier Minuten kamen, stemmte ich mich in den Türrahmen und fand das alles ganz schön anstrengend. Außerdem wurde mir auch ein bißchen schwindelig, irgendwie hatte ich Hunger und bekam nichts runter. Also rief ich um sechs Uhr wieder an, Lisa kam um halb sieben zur Untersuchung zu uns. Nächster großer Dämpfer: Muttermund 1 bis 2 cm geöffnet. Nach gefühlt sechs Stunden harter Arbeit. Später habe ich erfahren, dass die Hebammen die Zeit zwischen Mitternacht und fünf Uhr gar nicht mitgezählt haben.

Lisa riet mir, Zuhause zu bleiben und weiter zu machen, bis ich es wirklich allein nicht mehr aushalten könne. Außerdem etwas essen und genug trinken. Um neun Uhr fand ich es wirklich nicht mehr gut Zuhause und sagte Lisa bescheid, dass wir nun losfahren würden.

Bei der Untersuchung im Geburtshaus um 9:30 Uhr war der Muttermund 3 bis 4 cm geöffnet und mein Mann und ich wurden zum Spaziergang geschickt. Mädels, macht euch da keine Illusionen: Wehen veratmen in freier Wildbahn ist genau so wie es klingt, eine absolute Zumutung. Pech halt, wenn das alles so lange dauert…

Nach einer knappen Stunde waren wir vom Spaziergang zurück und der Muttermund hatte sich tatsächlich einen weiteren Zentimeter geöffnet! Ich bekam Kügelchen und eine Calciumbrause, ohne das sich etwas Wesentliches änderte. Endlich platzte dann auch gegen Mittag die Fruchtblase. Was sich für mich wie ein riesiger Schwall anfühlte, liest sich später im Geburtsbericht als ganze 100 ml!

Die Mittagszeit verging mit diversen Orts- und Positionswechsel: rein in die Wanne, seeehr angenehm. Mein Mann löffelte mir zwischen den Wehen einen halben Joghurt rein, mehr ging nicht. Rückenlage, Vierfüßlerstand, wieder Rückenlage. Raus aus der Wanne, aufs Bett, ins Seil hängen, zur Toilette gehen, zurück aufs Bett, Wehen alle drei Minuten, Ewigkeiten und doch kein Zeitgefühl.

Irgendwann so um halb drei bei einer Untersuchung: Muttermund 8 cm geöffnet, Kopf des Kindes ein bisschen schräg zum Becken eingestellt. Suboptimal. Etwas später bei der nächsten Untersuchung, ich hockte inzwischen schon vor dem Bett zum „Probe-pressen“: Stirnrunzeln bei beiden Hebammen, die mich abwechselnd untersuchten. Das Köpfchen stand nicht mehr nur ein bisschen schräg, sondern quer zum Beckeneingang. So als wollte sie gerade durchtauchen, anstatt die zwangsläufige Drehbewegung zu machen. Hoher Gradstand heißt das offiziell. Schlechte Prognose. Die Hebammen klärten uns auf, wir hätten nun noch die Wahl, eine weitere Stunde anstrengender Turnübungen und dann Verlegung ins Franziskus-Hospital. Oder sofort abbrechen und verlegen. Ich war zu dem Zeitpunkt schon so erschöpft und fertig, dass ich mir eine weitere Stunde mit ungewissem Erfolg in unbequemsten Positionen nicht vorstellen konnte.

So entschieden wir uns für die Verlegung mit dem Ziel unter PDA eventuell noch alles zum Guten, das heißt in unserem Fall in die richtige Richtung zu drehen.

Lisa hat uns dann in ihrem Wagen ‘rübergefahren, ich bekam ein Spray zum Wehenhemmen. Das wirkte grandios paradox, ebenso der Tokolyse-Tropf im Krankenhaus: jetzt ging es erst richtig los.

Nachdem Lisa dem Personal vor Ort eine Übergabe gemacht hatte und die Blutentnahme vor der PDA gelaufen war, wartete sie noch mit uns auf das Ergebnis. Ich fand das alles nur noch furchtbar, wollte dringend dass man mir die CTG-Gurte wieder abnimmt. „Nichts da, die müssen dranbleiben“ teilte mir die Hebamme der Entbindungsstation mit. Puh!

Als dann der Arzt mit der Mitteilung kam, PDA wäre wegen schlechter Blutwerte nicht möglich und die einzige Option jetzt ein Kaiserschnitt in Vollnarkose, fing ich an zu weinen und unterschrieb all die vielen Zettel wie im Nebel. 16:45 – Ich wurde unter weiterhin regelmäßigen kräftigen Wehen in den OP geschoben und bekam auf die Frage, ob man mich nicht zuerst betäuben könnte zur Antwort, das wäre nicht gut fürs Kind. Meinen Mann musste ich draußen zurücklassen. Er verbrachte die Zeit voller Sorge auf dem Kreißsaalflur. Während mir also ein nette aber wildfremde Hebamme gut zuredete, zogen, zerrten und machten so etwa acht Leute Vorbereitungen an mir herum. Die letzte Wehe hatte ich, als mir die Maske mit dem Betäubungsgas aufs Gesicht gedrückt wurde und ich war heilfroh, dass ich nun endlich schlafen durfte. Geschafft.

Um 17:30 Uhr, 27 Minuten nach Noras „Geburt“, war ich wieder wach und habe mein Kind anlegen können. Die Kleine wusste, was zu tun ist. In der Zwischenzeit hatte sie meinem Mann zwei Knutschflecken auf die Brust genuckelt. Und auch wenn ich noch ziemlich durcheinander war, wusste ich: jetzt ist alles gut.

 

Heute ist das alles lange her und nicht mehr so schlimm. Unsere Tochter ist ein fittes, fröhliches Kind und meine Narbe macht mir kaum Probleme. Aber es hat doch ein paar Tage gedauert, das Gefühl des persönlichen Versagens zu verarbeiten. Und einzusehen, dass niemand „Schuld“ hat.

Ich nicht, die Hebammen nicht, erst recht nicht mein Kind. Meine schöne idyllische Geburtshausentbindung hatte ich mir jedenfalls ganz anders vorgestellt. Ich weiß aber auch, nach dem direkten Vergleich zwischen Geburtshaus- und Krankenhausbetreuung, dass ich mich trotzdem wieder genau so entscheiden würde. Vielleicht würde ich beim zweiten Kind sogar eine Hausgeburt versuchen. Abbrechen kann man da notfalls genau so. Wie schnell dann alles geht, habe ich ja erlebt.

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